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Einleitung | |
Der Verein 'Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft' (LDEZ) | |
Warum wurde das 'kritische Lehrbuch' ausgewählt? | |
Begründung für die Auszeichnung | |
Angaben der Herausgeber des 'kritischen Evolutionsbuchs' | |
Fazit |
Das von Autoren der Studiengemeinschaft Wort und Wissen verfasste und im Weyel-Verlag in Gießen inzwischen in der 5. Auflage erschienene 'Evolution. Ein kritisches Lehrbuch' (im folgenden Text verwende ich 'kritisches Lehrbuch' oder 'kritisches Evolutionsbuch') erhielt im Jahre 2002 den Deutschen Schulbuchpreis. In diesem von Prof. Dr. Scherer und Dr. Junker herausgegebenen Buch stellen die Autoren (meist promovierte Biologen) auf der einen Seite durchaus objektiv die wichtigsten Befunde der Evolutionsforschung dar, sie zeigen aber auch auf, wo Lücken sind oder welche nicht nur nach Auffassung der Autoren inzwischen widerlegte Auffassungen immer noch in Schulbüchern auftauchen. Das Niveau ist sehr hoch, das Buch eignet sich meiner Meinung nach eher für Biologie-Studenten als für Schüler. Die Autoren gehen aber noch einen Schritt weiter: sie stellen der naturalistischen Auffassung von Evolution eine diffuse Schöpfungsvorstellung gegenüber.
In dem Buch wird aber nicht deutlich, dass die Studiengemeinschaft Wort und Wissen, der Herr Scherer vorsteht und der die meisten Autoren des Buchs angehören, genuin kreationistische Inhalte vertritt. Die Schöpfungsalternative, die in dem Buch vorgestellt wird, ist die übliche Variante der ID-'Theorie', die keinerlei konkrete Aussagen über den angeblichen Schöpfer macht. Herr Junker hat mit einigen Mitarbeitern von Wort und Wissen gemeinsam ein weiteres Buch ('Leben - woher?') geschrieben, das vom Niveau her etwas 'tiefer' angesetzt ist, in dem aber die biblischen und kreationistischen Inhalte wesentlich deutlicher zum Vorschein kommen. Dieses Buch wäre meiner Meinung nach für den Einsatz in Schulen, allerdings im Religionsunterricht, besser geeignet.
Selbstverständlich wurde das 'kritische Evolutionsbuch', nicht zuletzt deswegen, weil es in evangelikalen und kreationistischen Kreisen (meist ohne es gelesen bzw. dessen Inhalte verstanden zu haben) als Argument gegen Evolutionsvorstellungen verwendet wird, kritisiert. In einigen Artikeln habe ich mich kritisch mit einzelnen Teilen des Buchs befasst. Auch im Web finden Sie zahlreiche weitere Artikel, die sich zum Teil recht kritisch mit diesem Buch auseinandersetzen.
Man kann man sich durchaus fragen, warum ein so heterodoxes Buch, das für den Unterricht an den meisten Schulen gar nicht zugelassen ist und dessen fachliches Niveau weit über dem liegt, was im Unterricht üblicherweise behandelt werden kann, einen Schulbuchpreis erhält. Da mir die Auszeichnung 'Deutscher Schulbuchpreis' unbekannt war, habe ich mich näher darüber informiert, wer diese Auszeichnung vergibt und warum ein Lehrbuch, das der Evolutionsvorstellung, also der einigenden Klammer nicht nur der Biowissenschaften, gegenüber kritisch eingestellt ist, eine derartige Auszeichnung erlangen kann.
Der Deutsche Schulbuchpreis wird seit 1990 vom Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis vergeben. Dieses Kuratorium ist im 'Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft' (LDEZ) organisiert. Dieser am 13. März 1990 in Bielefeld gegründete Verein mit Sitz in Harsewinkel hat gemäß § 2 seiner Satzung folgende Aufgaben:
Der Vereinszweck soll durch verschiedene Tätigkeiten verwirklicht werden. Unter Punkt c) wird die "Besprechung von Schulbüchern und Prämierung von besonders guten Schulbüchern" [1] genannt. Die Prämierung erfolgt durch den Deutschen Schulbuchpreis. Die Satzung führt aus:
Die Auswahl des auszuzeichnenden Buchs ist wie folgt geregelt:
Nach welchen Kritierien diese Bücher ausgewählt werden, regelt die Satzung wie folgt:
Auszeichnungswürdig sind aber auch Bücher, die den Schülern "emotional durch literarische Texte, die biblisch begründeten Werte und Normen, die zugleich zum wahren Menschsein gehören, nahe bringen". [1] Im Prinzip können Bücher aller Fächer prämiert werden, den Schwerpunkt bilden aber die Fächer "Religion, Ethik, Deutsch mit seinen Lesestoffen und andere Fächer, bei denen es ausdrücklich um die Entwicklung der sittlichen Haltung der jungen Menschen geht". [1]
Der Verein ist gemeinnützig, der Mitgliedsbeitrag beträgt jährlich mindestens 25 EUR, Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Als Kontaktadresse wird
angegeben. Aus dem mir vorliegenden Material geht nicht hervor, dass der Verein über eine Internet-Präsenz verfügt.
Die Verleihung des Preises erfolgte im Rahmen eines Festaktes am 17. November 2002 in der Aula des Ratsgymnasiums in Bielefeld. Den musikalischen Rahmen gestaltete ein jugendliches Bläserquintett. Die Begrüßungsrede hielt Herr Ellinghaus aus Vorsitzender des LDEZ. Ansprachen und Grußworte hielten Peter Silbernagel, der Landesvorsitzende des Philologenverbandes NRW, Dr. Gisela Friesecke, die Ehrenvorsitzende des Elternvereins NRW und Dr. Diethardt Roth, der Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Die Festansprache hielt Dieter Althaus (MdL), Vorsitzender des CDU-Landesverbandes und der Landtagsfraktion in Thüringen und langjähriger Bildungsminister. Einer der Herausgeber des 'kritischen Evolutionsbuchs', Prof. Dr. Siegfried Scherer, hielt die Dankesrede (alle Angaben aus [4]).
Anbetrachts der oben genannten Vereinsziele und der bisher ausgezeichneten Bücher (eine vollständige Liste findet sich in [1]) wundert man sich, warum dieses Mal ein naturwissenschaftliches Werk, in dem christliches Gedankengut so gut wir nirgends explizit erwähnt wird, ausgewählt wurde. Dass das Buch meines Wissens in keinem Bundesland für den Unterricht zugelassen ist, stellt, wie oben erwähnt, keinen Hinderungsgrund für diese Auszeichnung dar.
Man kann sich zunächst fragen, ob fachwissenschaftliche Gründe für diese Wahl vorliegen. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Diskussion zwischen Herrn Ellinghaus und Prof. Dr. Kutschera, wie sie in [2: 4f] kurz skizziert wird. Herr Kutschera fragte schriftlich an, ob auch Evolutionsbiologen an der Auswahl beteiligt waren. Herr Ellinghaus schrieb darauf zurück, dass es "bei Kritik an Auszeichnungen nicht üblich sei, die Liste der Preisrichter zu veröffentlichen." [2: 5]. Herr Kutschera rief daraufhin bei Herrn Ellinghaus an und hat sich nach der Zusammensetzung des Kuratoriums erkundigt. Die Antwort von Herrn Ellinghaus ist aufschlussreich:
Aus dem weiteren Text geht hervor, dass das Kuratorium "aus Vertretern verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie Rechts-, Wirtschafts-, Sozial-, Erziehungswissenschaften, Psychologie, Medizin" [2: 5] besteht. Die Begründung "Fachlich gesehen gehen sie davon aus, dass der Direktor eines angesehenen staatlichen Universitätsinstituts für Mikrobiologie ausreichend qualifiziert ist, ein Biologiebuch zu verfassen, zumal ihm ein umfangreiches Team promovierter Biologen zur Seite steht." [2: 5] lässt nicht gerade darauf schließen, dass den Mitgliedern des Kuratoriums ("meist bekannten Professoren, sowie einigen Vorsitzenden bzw. Präsidenten großer gesellschaftlichen Vereinigungen" [2: 5]) das Fachwissen zur Verfügung stand, die Inhalte des Buchs qualifiziert zu beurteilen. Angesichts des Inhalts des 'kritischen Lehrbuchs' scheint eine andere Passage relevanter zu sein: "Es genügt, wenn ein Schulbuch einzelne der genannten inhaltlichen Aufgaben erfüllt, solange es den anderen nicht widerstreitet." [1: 2].
In der Festschrift findet man eine Zusammenfassung für die Gründe, warum dieses Buch ausgezeichnet wurde. Diese Passagen sind hier vollständig wiedergegeben:
Kurze Zusammenfassung der Gründe für die Auszeichnung des Schulbuchs von Junker/Scherer "Evolution - ein kritisches Lehrbuch"
In vielen politischen Bereichen, besonders in der Schul- und Bildungspolitik sowie in der Familienpolitik, werden wissenschaftlich nicht begründete Konzepte verwirklicht. Daher ist die in diesem Buch unternommene Aufgabe, die Einstellung wissenschaftlicher Redlichkeit und Gründlichkeit durch die Darstellung wissenschaftstheoretischer Einsichten und Regel [sic] an die junge Generation zu vermitteln, vor allem an die künftige Elite, notwendig. [ Kommentar ]
Außerdem führt die konsequente Beseitigung der christlichen Grundlagen der Schulbildung durch deutsche Kultusminister und in der Arbeit des gemeinsam von Bund und Ländern eingesetzten Forum Bildung in Verbindung mit der völligen Vernachlässigung der Persönlichkeitsbildung nicht nur zu Defiziten in den sittlichen Einstellungen der nachwachsenden Generation, sondern auch zu den beklagten Defiziten beim Erwerb der verschiedenen fachlichen Kompetenzen. [ Kommentar ]
Für viele, vor allem junge Menschen, ist die Evolutionslehre ein Anlass, Gott aus dem eigenen Lebenskonzept zu streichen [sic] Deshalb ist bei der diskussionslosen Selbstverständlichkeit und Ausschließlichkeit, mit der die Evolutionslehre alle Bereiche des öffentliche Denkens beherrscht, eine kritische Auseinandersetzung notwendig, um den Schülern eine selbständige, mündige Beurteilung der unterschiedlichen Vorstellungen über die Entstehung der Welt zu ermöglichen. [ Kommentar ] [4: 6, Hervorhebungen von mir, T.W.]
Was "wissenschaftlich nicht begründete Konzepte" nach seiner Auffassung bedeuten, hat Herr Ellinghaus in seiner Rede zuvor ausgeführt:
Diese Passagen lassen nicht darauf schließen, dass sich Herr Ellinghaus darüber informiert hat, wie Evolutionsforschung betrieben wird. Selbstverständlich sind weite Bereiche der Evolutionsforschung 'echte' Naturwissenschaften. Die Selektionstheorie beispielsweise ist im gleichen Umfang formalisiert wie die besten physikalischen Theorien. Auch die molekularbiologischen Forschungen im Bereich der Evolutionsbiologie werden mit naturwissenschaftlichen Methoden betrieben. Selbstverständlich sind Bereiche der Evolutionswissenschaft genuin historische Wissenschaften. Es macht wissenschaftstheoretisch keinen Unterschied, ob man menschliche Artefakte oder Fossilien untersucht. Es gibt allerdings noch keine Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen Sinn, aber aus vollkommen anderen Gründen als dem, den Herr Ellinghaus angibt. Selbstverständlich bewährt sich die Evolutionsauffassung "im Umgang mit den realen Gegebenheiten". Das einzige 'Argument' in dieser Passage kann man leicht spiegeln: Menschen wie Herr Ellinghaus sind nicht in der Lage, den Sinn ihres Lebens ohne einen Schöpfer zu finden. Das mag man bedauern, aber ein Argument gegen Evolution ist das nicht.
Herr Ellinghaus ist den Autoren des 'kritischen Evolutionsbuchs' dankbar, dass
Das erstaunt mich, denn gerade die wissenschaftstheoretischen Passagen dieses 'Lehrbuchs' sind in meinen Augen, zumindest im Vergleich zum Rest des Buchs, eher unzureichend. Zumindest in dem Bereich der Evolutionsforschung, in dem Mechanismen untersucht werden, ist die Annahme einer 'Schöpfung' bestenfalls pseudowissenschaftlich. Was erklärt ein Designer als Wirkursache? Der Versuch der Autoren des 'kritischen Evolutionsbuchs', Evolutionsforschung auf eine Ebene mit den angeblich subjektiven historischen Wissenschaften oder gar der nicht existenten Schöpfungs'wissenschaft' zu stellen, ist wissenschaftstheoretisch nicht haltbar. Die "offensichtlichen Fehler in Einzelaussagen", die man in dem Buch findet, kann man auch in naturalistischen Werken nachlesen (wie der Blick in die Quellenangabe für die Aussagen des Buches zeigt). Es ist den Autoren aber zuzugestehen, dass ihr Werk eine wichtige Aufgabe erfüllt: es zeigt auf, an welchen Stellen noch Forschungsbedarf besteht.
Der Versuch, so die Evolutionsforschung insgesamt zu diskreditieren, zeigt allerdings, dass es bei der Vergabe des Preises gar nicht um Fachwissenschaft oder Wissenschaftstheorie gehen kann, sondern um den Kampf von Weltbildern. Gerade die ID-'Theorie', in deren Rahmen die Autoren des 'kritischen Lehrbuchs' argumentieren, ist ein Paradebeispiel für Pseudowissenschaften. In den Arbeiten ID-'Theoretiker' findet man nirgends eine konsistente Darstellung des eigenen Standpunkts. Dazu wäre erforderlich, Fragen wie 'Wann hat welcher Designer wie wo was geschaffen' in einer Art und Weise zu beantworten, die prüfbare Aussagen enthält. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen, der die Autoren des 'kritischen Lehrbuchs' zumindest nahestehen, macht eigentlich gerade dieses: sie vertritt aus theologisch nachvollziehbaren Gründen einen Kurzzeit-Kreationismus der derartige Aussagen ermöglicht. Diese Aussagen sind prüfbar und widerlegt.
Die auch in dem 'kritischen Lehrbuch' vertretene Position des Intelligent Design ist hingegen ein Musterbeispiel für Systeme, die nach den üblichen Kriterien der Wissenschaftstheorie abzulehnen sind. Es stimmt schon merkwürdig, dass Schüler ausgerechnet anhand dieses Buchs "wissenschaftliche Redlichkeit" [4: 6] lernen sollen.
[ Liste mit Begründungen ] [ Übersicht ]
Die im zweiten Abschnitt der Kurzbegründung angesprochenen Bereiche beziehen sich nicht speziell auf das prämierte Buch bzw. die Evolutionsbiologie und werden daher hier nicht näher kommentiert. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob eine Persönlichkeitsbildung nur auf der Grundlage einer christlich orientierten Werte-Erziehung möglich ist, oder ob es nicht langsam an der Zeit wäre, anzuerkennen, dass es auch andere Traditionen gibt, die Werte vermitteln, ohne darauf angewiesen zu sein, diese durch ein Wesen, dessen Existenz nicht aufgezeigt werden kann, zu 'begründen'.
[ Liste mit Begründungen ] [ Übersicht ]
Die Begründung in der letzen Passage scheint mir daher für die Wahl des Buchs ausschlaggebend gewesen zu sein. Es geht darum, dass bestimmte Kreise in der naturalistischen Evolutionslehre eine Gefahr für die Notwendigkeit der Annahme eines Schöpfergottes sehen. Daher sind Bücher, die zumindest Lücken im naturwissenschaftlichen Weltbild aufzeigen, hochwillkommen. Sehr deutlich hat das Herr Ellinghaus in seinem Rundschreiben formuliert:
So gesehen ist natürlich der Kampf gegen die naturalistische Auffassung von Evolution enorm wichtig. Die hierzu verwendete Strategie besteht vor allem darin, irgendwelche Erklärungslücken der Evolutionsforschung herauszustellen, in denen dann Platz für einen Schöpfer zu finden ist. Schöner als durch die Formulierung von Frau Dr. Friesecke, der Ehrenvorsitzenden des Elternvereins NRW, aus ihrem Grußwort zur Verleihung des Preises kann man das kaum zum Ausdruck bringen:
In die gleiche Richtung geht auch die Begründung von Herrn Dr. Roth, dem Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, der in seinem Grußwort schreibt:
Es geht also letztendlich darum, die nie bestrittene Begrenztheit der menschlichen Erkenntnis und des Ansatzes der naturalistischen Forschung dazu zu verwenden, "Raum für andere Ansätze" zu schaffen, von denen explizit eingeräumt wird, dass sie keinen "Raum im Feld der Naturwissenschaften haben." Man kann sich allerdings fragen, warum ausgerechnet in einem Buch, das sich mit einer Naturwissenschaft befasst, die "religiöse Tradition" (man ist versucht zu fragen, warum denn ausgerechnet die christliche?) wieder als Erklärungsmodell hoffähig gemacht werden soll.
Dazu ist auf jeden Fall anzumerken, das diese Traditionen keinerlei Erklärung für was auch immer bieten. Wie erklärt ein Schöpfer beispielsweise das Paradebeispiel der ID-'Theorie', die Bakteriengeißel, die auch sehr ausführlich in dem 'kritischen Lehrbuch' behandelt wird? Wann hat wo welcher Gott wie was geschaffen? Wenn eine Antwort auf derartige Fragen vorliegt, hat man ein hoffähiges "Erklärungsmodell der Wirklichkeit". Vorher nicht. Derartige Erklärungen such man in dem Buch vergebens.
Die Behauptung, dass durch die in dem 'kritischen Lehrbuch' verfolgte Argumentation das Christentum gestützt würde, beruht auf einem logischen Fehlschluss (den die Autoren des Buchs übrigens nicht begehen). Die Widerlegung einer Theorie ist nur dann ein Argument für eine andere Theorie, falls es nur diese beiden Alternativen gibt. In dem genannten Punkt ist das aber gar nicht der Fall. Es gibt zahlreiche sich gegenseitig widersprechende Schöpfungslehren und Evolutionsmodelle. Die Widerlegung einer bestimmten Evolutionsvorstellung ist kein Hinweis auf eine bestimmte Schöpfungsvorstellung. Das 'kritische Lehrbuch' könnte genauso gut von Muslimen als Beleg für das Schöpfungshandeln Allahs interpretiert werden.
[ Übersicht ]
Die Dankesrede, die Herr Scherer hielt gegen Ende der Veranstaltung "spontan und völlig frei" hielt, ist leider in der Festschrift nicht enthalten, Herr Scherer war "wegen seiner Belastung vorläufig nicht in der Lage, sie erneut schriftlich zu konzipieren" [4: 22]. Laut Programm sprach Scherer zum Thema "Die Motive der Autoren zur Schaffung dieses Buchs" [4: 2] und "beeidruckte durch die Schilderung seiner persönlichen Glaubensgeschichte" und hofft, dass mit dem Buch sein "Staunen den Schülern weitergeben werden könne". [4: 22] Der Festschrift lag allerdings ein Flyer bei, in dem Herr Scherer einige Klarstellungen anbrachte.
Demnach ist das Buch nicht primär christlich orientiert:
Diese Seiten sind zudem nur "christlich motiviert". In dem Buch wird nämlich, wie oben schon erwähnt, überwiegend ein ID-'theoretischer' Ansatz vertreten, der mit jeder beliebigen Zahl welcher Designer auch immer vereinbart werden kann. Wenn man, etwas polemisch, in den 'Grenzüberschreitungen' den Begriff 'Designer', 'Schöpfer' etc. durch 'Team aus drei Konstrukteusen, einem babigen Schwurml und einem basigen Furml' ersetzt, ändert sich am Gehalt des Textes überhaupt nichts. Davon lebt die ID-'Theorie': sie macht keinerlei konkrete Aussagen. So kann jeder in diese Texte den Designer hineinlesen, an den er sowieso glaubt. Das kann man leicht auch daran erkennen, dass derartige Texte selbstverständlich auch von Muslimen als 'Beweis' für das Schöpfungshandeln Allahs gedeutet werden.
Der, vom wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus gesehen, solideste Ansatz, der Kurzzeit-Kreationismus, wird von Herrn Scherer zwar auf den ersten Blick zwar verbal explizit abgelehnt.
Herr Scherer distanziert sich aber nur von den Methoden der amerikanischen Kreationisten, die dort mit allen Mitteln versuchen, Evolution von den öffentlichen Schulen zu verbannen oder doch wenigstens Schöpfungs'wissenschaft' als gleichwertige Alternative zu etablieren. Wenn man unter 'Kreationismus' aber versteht, dass die Aussagen der Bibel als Befunde gedeutet werden, die mit den Methoden der Naturwissenschaft untersucht werden können, sind die Herausgeber und Autoren des Buchs typische Kreationisten. In Europa macht vieles keinen Sinn, was in Amerika betrieben wird. Dort ist Religionsunterricht von der Verfassung verboten. Die dortigen Kreationisten sind daher darauf angewiesen, ihre Auffassungen als 'Wissenschaft' zu verbreiten. Hier in Europa reichen 'Grenzüberschreitungen'.
Den Autoren des 'kritischen Lehrbuchs' ist zuzugestehen, dass in herkömmlichen Lehrbüchern die Probleme materialistischer Deutungsversuche "verschwiegen" werden. Das beruht darauf, dass es keine schöpfungs'theoretischen' Deutungsversuche gibt, die auch nur minimalen wissenschaftstheoretischen Anforderungen entsprechen. Daher stellt dieser Ansatz keine erwähnenswerte Alternative dar, auf die man im Unterricht mit mehr als ein paar Nebensätzen eingehen müsste. Ob und in welchem Umfang Schüler mit den Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit konfrontiert werden sollen, ist eine andere Frage. Dass dies aber unter dem Aspekt, einem Lückenbüßergott ein Hintertürchen zu öffnen, erfolgen sollte, kann ich nicht nachvollziehen.
[ Liste mit Begründungen ] [ Übersicht ]
Der Deutsche Schulbuchpreis ist der Versuch einer christlich-wertekonservativ orientierten Organisation, auf ihre Weltanschauung aufmerksam zu machen. Die übrigen Bücher, die ausgezeichnet wurden, sind im Bereich des konservativen Christentums anzusiedeln (eine komplette Liste, einschließlich der Ehrenmedaillen, findet sich in [1: 2ff]. Mich wundert daher, warum mit dem 'kritischen Evolutionsbuch' ein Werk ausgezeichnet wurde, in dem das Christentum bestenfalls am Rande vorkommt. Konsequenter war die Verleihung der ersten Ehrenmedaille, die in unregelmäßigen Abständen zusammen mit dem Deutschen Schulbuchpreis verliehen wird, an den "mutigen Verleger" Ulrich Weyel für die Publikation der "Entstehung und Geschichte der Lebewesen". (1992, [1 :2]) Nur am Rande sei erwähnt, dass es sich bei diesem Buch um die 3. Auflage des gerade in der 5. Auflage beim selben Verlag erschienenen preisgekrönten Buchs handelte. Aber mit dem Inhalt des Buchs hatte auch die Ehrenmedaille nichts zu tun.
Letztendlich ging es dem Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis wohl vor allem darum, Evolutionskritik als solche zu unterstützen, weil man so die Möglichkeit sieht, diese Gefahr für das Gottesbild eines bestimmten Typs von Christentum zu bekämpfen. Dieser Aspekt wird im dritten Abschnitt der Kurzbegründung und allen anderen mir vorliegenden Texten des LDEZ sehr deutlich angesprochen. Die beiden christlichen Großkirchen haben offensichtlich diese Schwierigkeiten nicht, denn beide erkennen eine (theistische) Evolution durchaus an. Aus den mir vorliegenden Informationen über LDEZ kann ich nicht entnehmen, welche konkreten Auffassungen von Schöpfung (Langzeitkreationismus? Kurzzeitkreationismus? ID-'Theorie'?) deren Mitglieder vertreten. Die Verleihung des Preises scheint mir nach dem Motto 'Der Feind meines Feindes ist mein Freund' erfolgt zu sein. Es wurde wieder einmal versucht, durch Kritik an der Evolutionsforschung den eigentlichen 'Feind' der Supranaturalisten, die durchgehend naturalistisch orientiere Forschung, zu bekämpfen.
Unter dem Begriff 'Kreationismus' wird eine ganze Fülle von Schöpfungsvorstellungen zusammengefasst. Was meiner Meinung nach unter diesem Begriff verstanden werden sollte, habe ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt. Für diese Auffassung scheint mir charakteristisch zu sein, dass davon ausgegangen wird, dass der Schöpfungsbericht der Bibel mit den Ergebnissen vereinbar sei. Dabei werden konkrete Angaben gemacht (die Erde ist jung, es gab eine weltweite Flut in historischer Zeit, es gabe eine Schöpfungswoche), die prüfbar sind. So gesehen erfüllt der Kreationismus wissenschaftliche Standards. Allerdings sind diese Annahmen widerlegt worden und müssten daher aufgegeben werden.
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Im Lauf der Zeit habe ich den einen oder anderen Artikel für meine Site verfasst, der sich mit dem 'kritischen Evolutionsbuch' auseinandersetzt. Bisher habe ich aber noch keine Zeit gefunden, eine umfassende Rezension zu schreiben, die über eine allgemeine Einschätzung hinausgeht. Da der Begriff 'Makroevolution' in einem etwas speziellen Sinn eine wichtige Rolle in diesem Buch spielt, habe ich diesen Aspekt näher untersucht. Außerdem habe ich die eher wissenschaftstheoretischen Aspekte dieses Buchs näher untersucht. Die sogenannte Grundtypen-Biologie spielt für den schöpfungs'theoretischen' Ansatz der Autoren eine wichtige Rolle: sie ist das bisher am besten untersuchte Gebiet dieser Organisation. Deshalb habe ich auch diesen Ansatz kritisiert, wobei ich vor allem aufzeigen wollte, dass Schöpfungs'forschung' prinzipiell nicht wissenschaftlich sein kann. Die Inhalte aller dieser Artikel überschneiden sich, weil es mir darum ging, jede dieser Arbeiten einzeln verständlich zu halten.
Eine recht kritische Rezension, die sich vor allem mit wissenschaftstheoretischen Aspekten befasst, finden Sie auf der Site von Dipl. Chem. (FH) Neukamm.
Der Langzeit-Kreationist Dr. Lönnig bespricht das 'kritische Evolutionsbuch' zwar sehr positiv, es lohnt sich aber, 'zwischen den Zeilen' zu lesen. Es ist interessant, zu untersuchen, welche Differenzen zwischen verschiedenen Richtungen von Schöpfungsauffassungen bestehen.
In einem Beitrag für das Info-Blatt der Studiengemeinschaft Wort und Wissen geht Dr. Junker (einer der Herausgeber des 'kritischen Evolutionsbuchs) kritisch auf verschiedene Rezensionen ein.
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Anhand einer Analyse eines Textes von Dr. Junker habe ich versucht, zu zeigen, warum eine Schöpfungs'wissenschaft' prinzipiell gar nicht möglich ist, wenn man die üblichen Standards der Wissenschaftstheorie anlegt.
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Zurzeit (Januar 2003) bin ich noch nicht dazu gekommen, diesen Ansatz in einem eigenen Artikel zu kritisieren. Sehr anschaulich schildert Prof. Dr. Shermer die grundlegenden Schwächen dieses Ansatzes. Er macht zudem deutlich, dass es sich bei den Vertretern dieser Richtung oft um Kreationisten handelt, die eine neue Argumentationsstruktur entdeckt haben.
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Herr Prof. Dr. Kutschera vertritt die Evolutionsbiologie an der Universität Kassel. Er hat in seinem Lehrbuch der Widerlegung von Argumenten von Evolutionsgegnern breiten Raum gewidmet. In einem Interview der Zeitschrift factum hat er ähnliche Fragen zu Evolution und zum Deutschen Schulbuchpreis beantwortet wie Herr Prof. Dr. Scherer.
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Das Buch 'Der Evolutionsschwindel' von Harun Yahya (das ist das Pseudonym von Adnan Oktar) ist ein typisches Beispiel. Viele Passagen dieses Buchs sind auch auf den dritten Blick nicht als muslimischen Ursprungs erkennbar.
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Junker, R.; Scherer, S.; (Hrsg.), (2001) 'Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. 5., aktualisierte Auflage' Gießen, Weyel
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Junker, R. (2002) 'Leben - woher? Das Spannungsfeld Schöpfung / Evolution leicht verständlich dargestellt' Dillenburg, Christliche Verlagsgesellschaft
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Die Materialien, deren Nummern in eckigen Klammern angegeben sind, wurden mir freundlicherweise von der LDEZ auf Anfrage zugesandt.
[1] Photokopien mit Angaben zum Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis
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[2] Rundschreiben vom Januar 2003 an die Mitglieder des Kuratoriums
Deutscher Schulbuchpreis
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[3] Flyer mit Klarstellungen von Herrn Prof. Dr. Scherer
zur Diskussion über das Evolutionsbuch
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[4] Festschrift zur Verleihung des Deutschen Schulbuchpreises
am 17. November 2002
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an Thomas Waschke |
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