Bei dieser Rezension handelt es sich um eine leicht veränderte Fassung eines Artikels, der in der Zeitschrift 'Der Skeptiker' (2001, Jg. 14, Heft 4, S. 206f) erschienen ist. Diese Zeitschrift wird von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP) herausgegeben.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Herrn Dr. Mahner können Sie per E-Mail oder über die Site der GWUP erreichen.
Kutschera, Ulrich
Evolutionsbiologie
Eine allgemeine Einführung
Parey-Buchverlag, Berlin 2001, ISBN 3-8263-3348-9, 273 Seiten, DM 58,-
Warum wird eine allgemeine Einführung in die Evolutionsbiologie im Skeptiker besprochen? Weil sie - ungewöhnlich für ein derartiges Lehrbuch - am Ende in zwei Kapiteln auf den Kreationismus eingeht und einige antievolutionistische Argumente zu entkräften sucht. In diesem Zusammenhang ist - für ein Biologiebuch ebenfalls ungewöhnlich - das letzte Kapitel der Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion gewidmet. Nach der Einleitung, die neben allgemeinen Grundlagen einige kurze wissenschaftstheoretische Bemerkungen enthält, und nach einem kurzen historischen Überblick sind die übrigen Kapitel dann rein biologischen Themen gewidmet. So wird zunächst die Synthetische Theorie der Evolution vorgestellt; über die Paläobiologie zurück zur chemischen Evolution und zur Entstehung des Lebens führt der Weg dann wieder vorwärts zur Endosymbiontentheorie und Zellevolution; und weiter geht es mit der Stammbaumanalyse auf molekularer Grundlage und der Rekonstruktion der Phylogenese durch Beobachtung und Vergleich. Das letzte rein biologische Kapitel ist schließlich der experimentellen Evolutionsforschung gewidmet.
Die direkte Auseinandersetzung mit dem Kreationismus ist sicher eine der ersten zu nennenden Stärken dieses Buches. Ein weiteres Plus ist, dass der Autor als Pflanzenphysiologe zahlreiche botanische Beispiele anführt. Die meisten Bücher zur Evolutionsbiologie sind nämlich zumeist von Zoologen verfasst, sodass Pflanzen häufig zu kurz kommen. Dann sind einige Beispiele auch recht neu, denn gerade in den letzten zehn Jahren sind sowohl in der Molekularbiologie als auch in der Paläobiologie viele neue Erkenntnisse gewonnen worden. Hervorzuheben ist schließlich noch das Kapitel über experimentelle Evolutionsforschung, denn einer der Haupteinwände der Kreationisten ist der, die Evolutionsbiologie sei grundsätzlich eine historische und keine experimentelle Disziplin und damit keine richtige Wissenschaft. Gewiss sind die experimentellen Möglichkeiten der Evolutionsbiologie beschränkt, aber es gibt eben, wie Kutschera zeigt, mehr Beispiele für experimentell erzeugte Evolutionsvorgänge, als den Kreationisten lieb sein kann.
Neben den positiv zu vermerkenden Aspekten weist das Buch aber leider auch Schwächen auf, die geeignet sind, sein lobenwertes Anliegen zu beeinträchtigen. Zunächst macht das Buch den Eindruck, als sei es unter großem Zeitdruck zustande gekommen. So wirkt die Präsentation oft etwas gehetzt, und manchmal folgen Abschnitte verschiedenen Inhalts überleitungslos aufeinander, sodass nicht immer klar ist, was das eine mit dem anderen zu tun hat, warum gerade dieser Aspekt wichtig ist oder worauf der Autor damit später hinaus will. Vielleicht haben sich auch deshalb einige sachliche Fehler eingeschlichen. So wird auf S. 160 der Eindruck erweckt, bei Wenigborstern, die den meisten durch die Regenwürmer bekannt sind, würden sich nach Durchtrennung beide Enden regenerieren. Zumeist ist jedoch nur das Vorderende in der Lage, ein Hinterende zu regenerieren. Und auf S. 226 werden die rudimentären Beckenknochen der Wale als funktionslose Reste bezeichnet. Diese sind aber keineswegs funktionslos, sondern dienen als Ansatzstellen für die Penis- und Anusmuskulatur. Beides sind sozusagen populäre Irrtümer. (Auf weitere Einwände biologischer Natur, die vor allem im Zusammenhang mit der Systematik und Stammbaumrekonstruktion noch vorzubringen wären, sei hier verzichtet.)
Leider bewegen sich auch viele der wissenschaftstheoretischen Betrachtungen auf der Ebene populärer Irrtümer. Dies gilt etwa für die Charakterisieung und Verwendung von Begriffen wie "Faktum", "Datum", "Theorie" und "Axiom". Interessanterweise hat der Autor zwar Literatur zitiert, in denen diese Begriffe korrekt definiert werden, diese aber offenbar nicht rezipiert-oder er hat sich bewusst für die populären Irrtümer entschieden, weil diese mit weniger Erklärungsaufwand einzuführen sind. Ob dies aber in der Auseinandersetzung mit einer Pseudowissenschaft wie dem Kreationismus klug ist, wage ich zu bezweifeln, denn die Kreationisten bemühen ja inzwischen selbst wissenschaftstheoretische Argumente gegen die Evolutionstheorie.
Die beiden Kapitel zum Kreationismus schließlich sind wie der Rest des Buches kurz und gedrängt gehalten. Sie enhalten zwar eine nützliche Liste kreationistischer Argumente und evolutionsbiologischer Gegenargumente, aber ob diese aufgrund ihrer Kürze immer auch den Zweifler überzeugen, bleibt zweifelhaft. Zumindes dürfte dies für Anfänger bzw. Nichtbiologen gelten; für Biologielehrer, die diese Argumente noch aufbereiten und näher erläutern können, mag dies anders sein. Allerdings bringt Kutschera auch das eine oder andere oft vergessene Argument, wie das, dass Landpflanzen nicht monatelang untergetaucht überleben können, und von Pflanzen auf der Arche Noah schließlich in der Bibel keine Rede sei.
Hier wie im letzten Kapitel über Naturwissenschaft und Glaube spricht Kutschera erfreulich klare Worte ohne die bei diesem Thema oft üblichen Verrenkungen. Jedoch ist zu befürchten, dass diese Kapitel deshalb nur das Vorurteil der Kreationisten bestätigen, bei Evolutionsbiologen handele es sich halt um eine Bande böser Atheisten. Es wäre vermutlich erfolgreicher, mehr Wert darauf zu legen zu erläutern, warum für die Naturwissenschaften nur ein naturalistischer Erklärungsrahmen in Frage kommen kann. Nur so wird deutlich, warum es sich beim wissenschaftlichen Naturalismus nicht um eine beliebige weltanschauliche Setzung handelt, die man genauso gut durch eine andere ersetzen kann.
Angesichts der Tatsache, dass nach einer Allensbachumfrage von 1996 auch in Deutschland 20% der Befragten Evolution völlig ablehnen (auf S. 201 leider ohne Quelle zitiert), und angesichts der subversiven Strategie der deutschen Kreationisten, sich durch den Vertrieb geschickt aufgemachter Lehrbücher (s. Skeptiker 4/99, S. 183) in Schule und Universität einzuschleichen, tut Kutschera mit seinem Buch einen wichtigen Schritt, dieses Problem deutlich zu machen. Es ist jedoch zu befürchten, dass das Buch aufgrund seiner Mängel nicht den Erfolg haben kann, den sein Anliegen im Prinzip verdient. So bleibt zu hoffen, dass es bald in einer zweiten Auflage überarbeitet werden kann.
Martin Mahner
zurück |
an Thomas Waschke | Stand: 22. Januar 2002 |