10. Historische Aspekte

Warum gibt es keine Erwähnung der Sintflut in den Aufzeichnungen der ägyptischen oder chinesischen Hochkulturen, die damals existierten? Biblische Zeitangaben (1. Könige 6:1, Gal 3:17, verschiedene Altersangaben in der Genesis) datieren die Sintflut auf etwa 1300 Jahre vor dem Baubeginn des ersten Tempels durch Salomon. Man kann verläßliche Chronologien für die Geschichte des Nahen Ostens, besonders für Ägypten, aus den Überlieferungen der Schrift-Kulturen dieses Raumes aufstellen. Diese Überlieferungen sind unabhängig voneinander, aber zuverlässig datiert, beispielsweise durch Dendrochronologie und Radiocarbon-Methode. Der Bau des ersten Tempels kann auf 950 v.u.Z +/- wenige Jahre datiert werden, wonach die Sintflut um 2250 v.u.Z. anzusetzen wäre. Leider gibt es ägyptische (neben anderen) schriftliche Überlieferungen, die weit vor das Jahr 2250 v.u.Z. zurückreichen (die Große Pyramide beispielsweise stammt aus dem 26. Jahrhundert v.u.Z., 300 Jahre vor der Sintflut). Es gibt in den Ägyptischen Schriften keine Anzeichen für eine Sintflut um 2250 v.u.Z.

Wie konnte sich die menschliche Bevölkerung so schnell erholen? Aus Zahlenangaben in den Geschlechterfolgen in der Genesis kann man ableiten, daß der Turm von Babel etwa 110 bis 150 Jahre nach der Sintflut gebaut werden sollte [Gen 10:25, 11:10-19]. Wie konnte die Weltbevölkerung so schnell wachsen, um seine Konstruktion (und die der Stadt darumherum) möglich zu machen? Das trifft auch auf Stonehenge und die Pyramiden zu, die in sumerischen und Kulturen des Indus-Tals gefunden wurden, die Besiedlung Amerikas usw.: es gab einfach zu wenig Menschen dafür.

Warum weichen andere Sintflut-Erzählungen so stark vom Bericht der Genesis ab? Sintflutberichte sind weltweit recht häufig. Wenn sie über dasselbe Ereignis berichteten, müßte man große Übereinstimmungen zwischen diesen erwarten. Diese Berichte zeigen jedoch große Unterschiede [Bailey, 1989, pp. 5-10; Isaak, 1997]. Beispielsweise überleben Menschen im Hochland oder auf Bäumen genauso häufig wie auf Floßen oder Booten, und kein anderer Bericht enthält ein Versprechen, nie wieder alles Leben auszulöschen.

Warum sollten wir erwarten, daß die Genesis exakt berichtet? Wir wissen, daß die heiligen Geschichten anderer Völker sich im Laufe der Zeit änderten [Baaren, 1972] und daß auch die Sintflut-Geschichte in späteren Traditionen verändert wurde [Ginzberg, 1909; Utley, 1961]. Ist es nicht vernünftig, anzunehmen, daß auch Änderungen zwischen der Entstehung der Geschichte und der Niederschrift in der heutigen Form vorkamen?

Quellenangaben

Baaren, Th. P., 1972. The flexibility of myth. Studies in the History of Religions, 22: 199-206. Reprinted in Dundes, A. (ed), 1984, Sacred Narrative, University of California Press, Berkeley.

Bailey, Lloyd R., 1989. Noah: the person and the story in history and tradition. University of South Carolina Press, SC.

Ginzberg, Louis, 1909. The Legends of the Jews, vol. 1, pp. 145-169, Jewish Publication Society of America, Philadelphia. Reprinted as "Noah and the Flood in Jewish legend" in: Dundes, Alan (ed.), 1988. The Flood Myth, University of California Press, Berkeley and London, pp. 319-336.

Isaak, Mark, 1997. Flood stories from around the world. http://www.talkorigins.org/faq/flood-myths.html.

Utley, Francis Lee, 1961. Internationaler Kongress der Volkserzählungsforscher in Kiel und Kopenhagen, pp. 446-463, Walter De Gruyter, Berlin. Reprinted as "The Devil in the Ark (AaTh 825)" in: Dundes, Alan (ed.), 1988. The Flood Myth, University of California Press, Berkeley and London, pp. 337-356.



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