Trotzdem sind diese geologischen Prinzipien auch keine unbegründeten Annahmen.
Jede derselben ist eine prüfbare Hypothese über die Beziehungen zwischen
bestimmten Gesteinen und ihren Eigenschaften. Sie werden von den Geologen in derselben
Weise verwendet wie eine 'Null-Hypothese' in der Statistik -- nicht unbedingt korrekt,
aber prüfbar. In den letzten 200 Jahren ihrer Anwendung haben sie sich oft
als gültig erwiesen, aber die Geologen gehen nicht davon aus, daß sie
es sind. Es handelt sich um 'ursprüngliche Arbeitshypothesen', die anhand weiterer
Daten geprüft werden.
Durch Anwendung dieser Prinzipien ist es möglich, die Abfolge der Ereignisse für jede geologische Schichtenfolge zu interpretieren, sogar auf anderen Planeten (z.B. kann ein Einschlagskrater in eine ältere, schon vorher existierende Oberfläche einschneiden, oder Krater können sich überlappen, wodurch sie ihre relativen Alter anzeigen). Die einfachste Situation für einen Geologen ist eine 'Tortenboden'-Schichtung von Sediment- oder Ergußgesteinen, die in nahezu horizontalen Schichten angeordnet sind. In diesem Fall läßt sich das Prinzip der Superposition leicht anwenden, und die Schichten gegen den Boden hin sind älter, die gegen die Oberfläche hin sind jünger.
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Abbildung 1. Sedimentschichten in einem Aufschluß, eine graphische
Darstellung einer stratigraphischen Folge und ein Beispiel für einen Marker
für 'oben': Riffelmarken |
Diese Orientierung ist keine unbegründete Annahme, weil es in so gut wie
allen Fällen möglich ist, durch bestimmte Marker festzustellen, wo 'oben'
ist. Riffelmarken beispielsweise haben spitze Wellenkämme auf der Oberseite
und eher abgerundete Tröge auf der Unterseite. Es gibt noch viele andere solcher
Indikatoren, darunter solche, aus denen man den Winkel ableiten kann, unter dem
die Ablagerung erfolgte ('geopetale Strukturen'), unter der 'Annahme', daß
die Richtung der Schwerkraft damals 'nach unten' zeigte, was nicht allzu gewagt
sein sollte :-)
Es gibt kompliziertere Fälle, beispielsweise in einem Berggürtel. Dort
gibt es oft Spalten, Faltungen und andere strukturelle Differenzierungen, die die
ursprünglichen Schichten deformiert und 'durcheinandergewürfelt' haben.
Trotzdem kann das Prinzip der Verhältnisse
bei durchschnittenen Schichten dazu verwendet werden, die Abfolge der Ablagerung,
Spaltung und Faltung aufgrund ihrer Durchschneidungen zu bestimmen -- wenn Falten
oder Spalten Sedimentschichten verformen oder durchschneiden, erfolgten diese Ereignisse
offenbar nach der Ablagerung der Sedimente. Man kan keine Struktur (z.B. eine Ablagerung)
deformieren, die noch nicht da ist! Selbst in komplizierten Fällen, in denen
eine Vielzahl von Ablagerungen, Deformationen, Erosionen, Ablagerung und so weiter
erfolgte, ist es möglich, die Abfolge dieser Ereignisse zu rekonstruieren.
Selbst wenn die Faltung so stark war, daß Schichten umgedreht wurden und nun
kopfüber liegen, kann das anhand von Markern für 'oben' erkannt werden.
Ganz egal, wie die geologische Situation aussieht, diese grundlegenden Prinzipien
ergeben eine Rekonstruktion der Geschichte der Abfolge der Ereignisse für die
untersuchte Region, unabhängig davon, ob es sich um Ablagerungen, Erosionen,
Deformationen oder was auch immer gehandelt hat. Diese Rekonstruktion wird überprüft
und verfeinert, wenn neue Daten gesammelt wurden, und diese kann (und wird oft)
mit anderen Methoden, die andere Techniken verwenden, die von der radiometrischen
Datierung vollkommen unabhängig sind (beispielsweise Fossilien oder radiometrischer
Datierung), durchgeführt werden. Die rekonstruierte Geschichte der Ereignisse
stellt eine 'relative Zeittafel' dar, weil es möglich ist, zu sagen, daß
Ereignis A vor Ereignis B stattfand, welches wiederum vor C stattfand, unabhängig
von der tatsächlich verflossenen Zeit, die diese Ereignisse trennt. Manchmal
wird dies als 'Ereignis-Stratigraphie' bezeichnet, ein Begriff, der nichts über
die Art des zur Einordnung verwendeten Ereignisses aussagt (biologisch, sedimentär,
umweltbedingt, vulkanisch, magnetisch, diagenetisch, tektonisch und so weiter).
Diese einfachen Techniken wurden in großem Umfang und erfolgreich mindestens
seit dem frühen 17. Jahrhundert angewendet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts
hatten die Geologen erkannt, daß viele offensichtliche Ähnlichkeiten
zwischen den voneinander unabhängig aufgestellten Schichtenfolgen der geologischen
Ereignisse aus verschiedenen Teilen der Welt bestanden. Eine der ersten relativen
Zeitskalen (1759), die auf dieser Beobachtung beruhte, war die Einteilung der Schichtenfolge
der Erde (und damit ihrer Geschichte) in 'Primäre', 'Sekundäre', 'Tertiäre'
und später (1854), 'Quartäre' Schichten, die vor allem auf charakteristischen
Gesteinstypen aus Europa beruhten. Die beiden letzten Einteilungen werden in einer
erweiterten Form auch heute noch von den Geologen verwendet. Die früheste,
'Primär', entspricht in etwa dem Paläozoikum und Präkambrium, das
'Sekundär' dem Mesozoikum der heute üblichen Terminologie. Eine weitere
Beobachtung war die Ähnlichkeit der Fossilien, die man innerhalb der Schichtenfolge
fand, was zum nächsten Abschnitt überleitet.
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