Der Webfehler in der Intelligent-Design-Theorie

Kritische Anmerkungen zu ID sowie zu Stefan TABOREKs Diskussionsbeitrag

Martin Neukamm, Garching, 25.06.03                                           

Die Diskussion der vergangenen Wochen hat hinreichend deutlich gemacht, daß in die Evolutionskontroverse stets Analogien hineinspielen, die der Evolutionskritiker zur Abstützung seiner "Intelligent-Design-Theorie" (ID-Theorie) benutzt. Das heißt, es wird im Hinblick auf Zweck und Plan menschengemachter Konstrukte auf eine ebenso zweck- und planmäßige Konstruktion von Biosystemen, also auf einen "intelligenten Kreator", geschlossen. 

Daher ist es angezeigt, den fundamentalen Webfehler der ID-Theorie, der in einem fehlerhaften Analogieschluß gründet, etwas genauer unter die Luße zu nehmen. Eine ausführliche Analyse findet sich an folgender Stelle:

Die Intelligent-Design-Theorie: Kritische Anmerkungen zu DEMBSKIs 'spezifischer Komplexität'

- Warum die Konstruktions-Analogien der Evolutionsgegner auf einem Denkfehler beruhen

Zweierlei möchte ich an dieser Stelle noch nachtragen:  

                             

1. Utricularia im Lichte von ID- (oder Schöpfungs-) Theorien

Zur "Utricularia-Problematik" ist festzustellen, daß es bislang keinem Evolutionskritiker gelungen ist, in dieser Frage eine Kostprobe von der Überlegenheit der ID-Theorie abzugeben. Die Unmöglichkeit, irgendeine bislang noch offene Frage der Evolutionstheorie im Rahmen von Schöpfungstheorien intellektuell befriedigend zu erklären, wird hier am Beispiel von Utricularia erörtert:

Der Supernaturalismus als "Lückenbüßer" und Hemmschuh wissenschaftlicher Forschung

- Oder: Die "Wissenschaft vom intelligenten Design" und wie sie funktioniert

Wer sich übrigens für den sachlichen Gehalt von LÖNNIGs Kritik an KUTSCHERAs Evolutionslehrbuch interessiert, der sei noch auf folgende (zwischenzeitlich erweiterte) Seite aufmerksam gemacht:

Einige Fehlinformationen in W.-E. Lönnigs Buchkritik zu Kutscheras 'Evolutionsbiologie' (2001)

- Ein Diskussionsbeitrag u.a. zur "Birkenspanner-Story"           

                        

2. Einige kritische Anmerkungen zu meinem Vorredner

Stefan TABOREK philosophiert in seinem jüngsten Diskussionsbeitrag über das vermeintlich "geozentrische Weltbild" der Evolutionstheorie. Dabei wird der Schöpfungsgedanke mit dem revolutionären heliozentrischen, die Evolutionstheorie dagegen mit dem im Mittelalter dogmatisch verteidigten geozentrischen Planetensystem in Zusammenhang gebracht. Diese Vergleiche zeigen meines Erachtens jedoch nur, daß TABOREK den wissenschaftsphilosophischen Hintergrund seiner Argumentation nicht verstanden hat. Dies macht beispielsweise der folgende Kommentar deutlich:

"Die Wissenschaftler (TABOREK meint damit wohl die Schöpfungsgeschichtler) arbeiten demnach mit erweiterten Hypothesen, die kompatibel mit allen anderen Wissenschaften sind. Mit ihren mutigen Aussagen wagen sie sich gleichsam [mit] Kopernikus aus dem "geozentrischen" Doktrinismus der von Evolutionsforschern definierten Prinzipien." Und weiter unten heißt es da:

"Solange die Wissenschaft keine Beweise für die absolutistische Prämisse des Naturalismus hat, ist die gegenwärtige Evolutionstheorie unbedingt als unbewiesen und unvollständig zu betrachten. Im Zusammenhang mit den alternativen Hypothesen der Schöpfungsforscher gleicht die 'geozentrisch orientierte' Evolutionstheorie eher eine Sammlung von Spekulationen, darüber wie an dem Ort A das Leben begonnen haben könnte (...)"

                                                      

Was bei diesen Ausführungen stillschweigend unter den Tisch fällt ist der Umstand, daß KOPERNIKUS und GALILEI zur Begründung ihres heliozentrischen Weltbildes genau dieselbe Methodologie verwendet hatten, wie die Evolutionsbiologen:

Das eigentlich revolutionäre Moment an dem neuen Planetenmodell gründet ja in dem Umstand, daß erstmals eine empirisch nicht erfahrbare Hypothese (nämlich die These von der Zentralposition der Sonne im Planetensystem) in die Theorie eingeführt wurde, obgleich sie der "Erfahrungstatsache", daß sich die Sonne um die Erde dreht, rundweg widerspricht. GALILEI erkannte nämlich, daß der bloße Augenschein keine wissenschaftliche Theorie begründen oder rechtfertigen kann, denn der Sinn von Naturwissenschaft besteht ja gerade darin, die naive Beobachtung unter Rückgriff auf grundsätzlich unbeobachtbare Dinge und Prozesse verstehbar zu machen. Dies hat nun zur Konsequenz, daß sein Modell durch keine experimentellen Untersuchungen oder Beobachtungstatsachen bewiesen werden konnte. Das heißt, alle Beobachtungen konnten und können gleichsam immer nur unter Voraussetzung (!) der spekulativen Theorie interpretiert werden.

Doch TABOREK moniert den Gebrauch eben dieser Methodologie immer nur dann, wenn es gerade um die Evolutionstheorie geht. Was bei KOPERNIKUS beispielsweise noch "mutige" und "wissenschaftlich wahre" Aussagen sind, das nennt man jetzt plötzlich eine "unbewiesene Sammlung von Spekulationen". Und die "erweiterten, mit anderen Wissenschaften kompatiblen Hypothesen" werden im Falle der Evolutionstheorie flugs zu "dogmatisch verteidigten Epizykeln". Offenbar wurde nicht begriffen, daß man mit derselben Kritik problemlos auch dem heliozentrischen Weltbild (oder einer beliebig anderen wissenschaftlichen Theorie) an den Karren fahren könnte.   


Wo, so ist zu fragen, sind denn die felsenfesten und experimentell reproduzierbaren Beweise, die TABOREK einerseits dazu veranlaßt die Theorie von Sonnensystem für "wahr" zu halten und andererseits die Evolutionstheorie zu einer "metaphysischen Spekulation" abzustempeln? Hatten GALILEI und KOPERNIKUS wirklich überzeugendere Beweise auf der Hand als die Evolutionsbiologen? Das ist nicht der Fall, denn jedem Wissenschaftler ist von vorn herein klar, daß die populäre Beweisterminologie in der Wissenschaft keine Anwendung  finden kann. Theoriefreie Beobachtungen (bar jeder Spekulation und Interpretation) bleiben in aller Regel unverstanden und nutzlos. TABOREKs Ablehnung der Evolutionslehre läßt sich daher weder methodisch begründen noch anhand des heliozentrischen Weltbildes rechtfertigen, wodurch die ganze Argumentation widersprüchlich wird und eine dogmatische Note bekommt. 

                                           

Nicht anders ergeht es ihm mit seiner nächsten Feststellung:

"Die Notwendigkeit für neue Fragestellungen könnten die Evolutionswissenschaftler am besten erläutern, weil es in ihrer Theorie eine große Zahl von nicht erklärbaren Annahmen (Hervorhebung von mir) gibt. Diese werden von ihnen so behandelt, wie Ptolemäus es tat, wenn seine Voraussagen nicht genau waren; es werden "Epizyklen" noch und noch aufgesetzt, bis die Aussagen einigermaßen passend erscheinen. Die Sackgasse, in der die Evolutionstheorie steckt, ist der eigentliche Grund, für die Notwendigkeit neuer Fragestellungen..."

Ironischerweise hatte gerade auch GALILEI so sehr mit scheinbar "nicht erklärbaren Annahmen" zu kämpfen, daß seine Theorie (zunächst) gegenüber dem traditionellen Modell hoffnungslos ins Hintertreffen geriet. Die Tatsache etwa, daß die die Sonne umkreisende Erde den Mond nicht zurückläßt, daß sich ein von einem Turm fallender Stein nicht vom Fuße des Turm entfernt und daß man keine Sternparallaxe nachweisen konnte, waren ernsthafte "Falsifikationen" des neuen Weltbildes, die GALILEI mit allerlei Hilfshypothesen, Gedankenbrücken und rhetorischer Überzeugungskraft überbrücken mußte. Erst NEWTON konnte GALILEIs Thesen mechanismisch abstützen und der neuen Theorie zum Durchbruch verhelfen, womit wieder deutlich wird, daß TABOREK das alte "Lückenbüßer-Argument" bedient, mit dessen Hilfe wir nicht einmal über das geozentrische Weltbild hinausgelangt wären.

Man fragt sich wieder, was sich TABOREK wohl dabei gedacht haben mag, als er ausgerechnet KOPERNIKUS gegen die in der Wissenschaft übliche Methode zur Einführung von Stützhypothesen (die er mit Epizyklen vergleicht) hat Pate stehen lassen. Hätten sich KOPERNIKUS und GALILEI jemals durchgesetzt, wenn sie sich von derlei Einwänden ins Boxhorn hätten jagen lassen?

Die Ptolemäische Vorstellung vom Planetensystem mußte letztlich deshalb scheitern, weil sie sich zu sehr an der unbefleckten Erfahrung orientiert hatte und mit Hypothesen (Epizykeln) angereichert wurde, die uns keine über die triviale Beobachtung hinausgehenden, "tieferen" Erklärungen darbieten konnten sondern nur dem Zwecke dienlich waren, die nackte "Beobachtungstatsachen" zu wahren. Das ist bei GALILEIs und DARWINs Theorien ganz gewiß nicht der Fall. Daß hier aber deutliche Parallelen zwischen dem Ptolemäischen Weltmodell und den Schöpfungstheorien bestehen, ist kaum übersehbar, betonen doch auch die "Schöpfungsgeschichtler" gerne die Kompatibilität ihrer Modelle mit der vermeintlichen "Erfahrungstatsache der Typenkonstanz" (von den weltanschaulichen Parallelen einmal ganz zu schweigen).

Gequält wirkt auch der Versuch, ausgerechnet die Evolutionstheorie, die mit vollem Recht als die vorerst letzte Kränkung des anthropozentrischen Selbstverständnisses verstanden (und daher gemeinsam mit GALILEIs revolutionärer Theorie im Munde geführt) wird, als "geozentrisch-wissenschaftsfeindlich" und die seit Jahrhunderten wissenschaftsrevisionistisch in Erscheinung tretenden, anthropozentrischen Schöpfungslehren wiederum als "revolutionär" abzustempeln.

Die Theorien zur Entstehung des Lebens (die TABOREK übrigens mit Evolutionstheorien verwechselt), sind auch nicht geozentrisch geprägt, wie behauptet wird. Die natürliche Entstehung von Leben wird ja nicht als etwas rein spezifisch Irdisches, sondern als eine Konsequenz der Urchemie, gewissermaßen als ein kosmischer Imperativ gesehen, dessen Wirkung keineswegs auf die Erde beschränkt bleiben muß. Die These lautet mit anderen Worten: Wo immer Bedingungen herrschen, unter welchen sich Leben etablieren kann, wird es zwangsläufig entstehen (daß dies natürlich auch für die Erde gilt, ist trivial und hat mit "Geozentrismus" nicht zu tun).

Und schließlich wird auch der Status der "Intelligent-Design-" und Evolutionstheorie nicht, wie TABOREK glaubt, von der Frage berührt, ob es dem Menschen als "intelligent handelndes Wesen" möglich ist, Leben in andere Regionen des Kosmos zu "exportieren", denn die Evolutionskontroverse dreht sich ja ausschließlich um die Frage, ob es Wesenheiten gibt, deren Handeln nicht an innerweltliche (kosmische) Naturgesetze gebunden ist. Da sich die Menschen zweifelsohne den Naturgesetzen "fügen" müssen, ist dies für die hier zur Debatte stehende Evolutionsdiskussion ohne Belang.


Kurzum, die Auseinandersetzung findet auf einer ganz anderen, nämlich auf der metatheoretischen Ebene statt, es geht um "Naturalismus versus Supernaturalismus", wobei hinreichend deutlich gemacht wurde, daß es nicht um die "ontologische Wahrheit", sondern um die methodologischen Prinzipien der Wissenschaft geht, welche eine naturalistische Ontologie erzwingen.

Wer jedoch, wie TABOREK, auf den metatheoretischen Zusammenhang zwischen Naturalismus, Prüfbarkeit und Erklärungskraft wissenschaftlicher Hypothesen und Theorien überhaupt nicht erst eingeht, sondern statt dessen ohne methodologische Begründung einfach behauptet, daß andere (supernaturalistische) Fragestellungen in der Wissenschaft "notwendig" seien (wie sollte eine solche Wissenschaft überhaupt funktionieren, was sollte sie erklären?); wer darüber hinaus von "Wahrheiten", "falschen Theorien" und "Tatsachen" redet, ohne die erwähnten methodologischen Prinzipien zu akzeptieren, anhand derer diese (heuristischen!) Begriffe überhaupt erst festgemacht werden können, der entzieht sich von vorn herein jedem rationalen Diskurs.