Stellungnahme zu Lönnigs Kommentar vom 22.05.03
M. Neukamm, Garching,
23.05.03
In einer Hinsicht muß man Lönnig Recht geben: Die Diskussion
um die Sperrung der MPIZ-Homepage scheint in der Tat allmählich dramaturgische
Züge anzunehmen. Dabei mag man Kutscheras und Hölldoblers Vorgehensweise
kritisieren oder gutheißen; Tatsache ist, daß Lönnig nicht
unwesentlich dazu beiträgt, die emotive Gemengelage weiter anzuheizen.
Lönnig, das wurde mehrmals in sachlich und nüchternem Tone festgestellt,
verfügt über eine private Homepage. Wie alle Beteiligten
hinreichend deutlich gemacht haben, war nicht dessen Grundauffassung Stein
des Anstoßes, kann er sie doch auf diesem Wege nach belieben kundtun.
Es wäre also angebracht, würde Lönnig zu einem sachlich-konstruktiven
Niveau zurückfinden. Doch statt dessen werden seine Kritiker auf der
besagten Homepage mit Polemiken und ad hominem-Kritik förmlich überschüttet.
Man gewinnt den Eindruck, daß es ihm schlicht nur darum geht, sein
Weltbild im Namen der Max-Planck-Gesellschaft abzusichern und sich zugleich
als Märtyrer vor der eigenen Klientel zu profilieren.
Auch Lönnigs neuester Kommentar gleicht mehr einer Generalabrechnung
als einem sachlichen Diskussionsbeitrag. Daß die Bereitschaft zur
sachlichen Diskussion, die Lönnig so vehement anmahnt, meines Erachtens
nur vorgeschoben wird, läßt sich, wie im folgenden zu verdeutlichen
sein wird, anhand seiner Argumentationsweise belegen:
Lönnig echauffiert sich beispielsweise über den vermeintlich "materialistischen
Fundamentalismus". Dieser sei "nicht weniger dogmatisch, intolerant
und wissenschaftsfeindlich als der religiöse". Weiter heißt
es da:
"Statt meine naturwissenschaftlichen Einwände zur Synthetischen
Evolutionstheorie zu diskutieren und zu widerlegen, hat Herr Kutschera nun
zusammen mit Herrn Hölldobler deren Verbot am MPIZ erreicht. Wenn es
sich jedoch nur um "plumpe Argumente" handeln würde, auf
die "einzig biologische Laien" hereinfallen können, so hätte
man diese doch im Interesse der Öffentlichkeit als Paradebeispiele
unzureichender Einwände gegen den Neodarwinismus leicht auf der eigenen
Homepage widerlegen und dann das MPIZ um entsprechende Link-Setzung ersuchen
können."
Die Kritik ist jedoch vollkommen unverstehbar, ist es doch gerade Lönnig,
der bislang alle wesentlichen Einwände, die seit Jahrzehnten gegen
die Wissenschaftsphilosophie der Evolutionsgegner vorgetragen wurden und
werden, komplett ignoriert. Insbesondere in der Frage des ontologischen
Fundaments der Wissenschaft haben Wissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker
seit Generationen erörtert, weshalb gerade der Naturalismus keine ideologische,
religiöse oder gar "wissenschaftsfeindliche" Ontologie darstellt,
so wieder jüngstens MAHNER:
"Der Naturalismus ist für die Wissenschaften keine beliebige
Setzung, sondern er wird gleichsam von deren methodologischen Prinzipien
erzwungen. Wissenschaftliche Hypothesen und Theorien sollen z.B. überprüfbar
sein. Überprüfbar ist aber nur das, mit dem wir wenigstens indirekt
interagieren können, und das, was sich gesetzmäßig verhält.
Übernatürliche Wesenheiten entziehen sich hingegen unserem Zugriff
und sind auch nicht an (zumindest weltliche) Gesetzmäßigkeiten
gebunden. Wissenschaftliche Theorien sollen ferner Erklärungskraft
besitzen, d.h., sie sollen nicht alles erklären können, sondern
nur genau, das, was erklärt werden soll. Übernatürliche Wesenheiten,
wie Götter, Geister oder Dämonen und deren Aktivitäten kann
man jedoch im Prinzip zur Erklärung von allem und jedem heranziehen.
Warum sollte das Fallen des Apfels vom Baum oder das Leuchten der Sonne
nicht mithilfe göttlicher Einwirkung erklärt werden? (...) Eine
übernatürliche Ursache erklärt alles!"
(MAHNER, 2003, S. 689) - Nähere Ausführungen hierzu
finden Sie an dieser
Stelle.
Doch in Ermangelung adäquater Gegenargumente werden solche Ausführungen
schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Es liegt die Vemutung nahe, daß
alles, was nicht mit dem Weltbild kompatibel ist, geflissentlich unter den
Tisch fällt. Umso merkwürdiger erscheint es also, wenn Lönnig
den Spieß geradezu umdreht und gleichsam unter dem Banner des von
ihm formelhaft beschworenen "Utricularia-Problems" das Scheitern
der DARWINschen Abstammungslehre proklamiert:
"Was den Wasserschlauch anlangt, so hat Kutschera bislang nichts
weiter vermocht, als diesen gerade wegen seiner bizarren Fresskünste'
autoritär zu einem Paradebeispiel der Evolution zu bestimmen. Dabei
versucht er, den Zugang zur eigentlichen naturwissenschaftlichen Fragestellung,
nämlich der völlig ungelösten (und der Theorie nachweislich
widersprechenden) Problematik, WIE die hochkomplexe Synorganisation der
Saugfalle durch das neodarwinistische Faktorensystem entstanden sein soll,
durch Polemik zu blockieren ("plumpe Argumente" etc.). In dieser
Methode, entscheidende Fragen durch autoritäre Behauptungen aus der
Welt zu schaffen bzw. durch heftige Polemik den Zugang zu ihnen zu versperren,
scheinen sich religiöser und materialistischer Fundamentalismus zu
treffen."
Die Überbetonung der "Naturwissenschaftlichkeit" offener
Fragestellungen (naturwissenschaftlich ist also nur das, was scheinbar als
Argument gegen die Evolutionstheorie ins Felde geführt werden kann!)
und die Diffamierung des Materialismus als "religiösen Fundamentalismus"
ist in antievolutionistischen Kreisen genauso Legion wie die Beharrlichkeit
im Ignorieren metatheoretischer Zusammenhänge.
Wie anders soll man es nennen, wenn Lönnig zwar bei jeder ihm gebotenen
Gelegenheit das Buch von REMANE, STORCH und WELSCH und zahlreiche andere
Evolutionsbiologen zitiert, die zu den offenen Mechanismusfragen der Synthetischen
Evolutionstheorie etwas Originäres zu sagen haben, gleichzeitig aber
vollkommen verschweigt, daß die Autoren all ihren Kritikern die logische
Unabhängigkeit von Abstammungshypothese und evolutionären Kausaltheorien
ins Stammbuch geschrieben haben? Da heißt es nämlich klipp und
klar auf den Seiten 10 f.:
"Die Bejahung der Grundfrage [der Abstammung] ist Voraussetzung
für alle anderen, aber die Unsicherheit in den [historischen oder Kausal-]
Fragen kann keineswegs die Evolution an sich erschüttern. Dies ist
heute von allen Biologen anerkannt. Die Beantwortung der Ablaufsfrage hängt
von den Materialien ab, die uns jeweils zur Verfügung stehen (...)
Selbst wenn wir über die Ursachen gar nichts wüßten, bliebe
der Sachverhalt der Evolution unangetastet."
(REMANE, STORCH und WELSCH, 1973)
Es ist klar, daß damit natürlich das Utricularia-Beispiel seinen
evolutionskritischen Wert einbüßt, zumal es der Logik der Forschung
entspricht, offenen Fragen eben in Forschungsprogrammen auf den Grund zu
gehen. Deshalb hat das Zitat freilich nichts mit ideologischer Borniertheit
der Autoren zu tun, sondern einfach mit der logischen Grundeinsicht, daß
ein (historischer) Prozeß auch dann durch Belege abgestützt werden
kann, wenn tiefere mechanismische Einsichten noch fehlen (nähere Erläuterungen
zu Utricularia sowie einige weitere Beispiele finden sich an dieser
Stelle).
Wer dennoch offene Fragen als eklatante Widersprüche interpretiert,
die eine radikale Verwerfung der davon betroffenen Theorien notwendig machten
(und damit zeigt, daß er weder den von POPPER betonten Unterschied
zwischen logischer und praktischer Falsifikation, noch die logische Struktur
von Theorien oder gar die Methode der Wissenschaft verstanden hat), der
sollte sich einmal fragen, welche große Theorie der Wissenschaft überhaupt
noch der praktischen Falsifikation standhielte (Beispiele und Erläuterungen
gibt CHALMERS; vgl. diese
Stelle).
Wenn wir, um es noch deutlicher zu formulieren, bestehende Lücken einfach
durch einen "Designer" ausfüllten, könnten wir, wie
Kutschera vollkommen richtig ausführt, "die Naturwissenschaften
abschreiben."
Im Gegensatz zu den "Intelligent-Design-Theoretikern" (Kurz: ID-Theorie)
arbeiten Evolutionsbiologen immerhin mit wachsendem Erfolg an der Frage,
nach welchen Mechanismen Evolution abläuft und gelangen dabei zu immer
tieferen Einsichten. Eine supernaturalistisch geprägte Wissenschaft
(wenn es sie gäbe und geben könnte) ist aber nicht in der Lage,
eine ausgearbeitete mechanismische Theorie zu präsentieren oder auch
nur ansatzweise an diesem Problem zu forschen, wie jüngst auch SHERMER
recht treffend auf den Punkt gebracht hat:
"Wenn wir einmal annehmen (obwohl wir nicht sehen, dass das stimmt),
dass ID tatsächlich eine Reihe von biochemischen Komponenten so zusammenlagerte,
dass [ein Bakterium] sich mit einer Geißel fortbewegt (so lautet deren
einziges bekanntes Beispiel (...), wollen sie wirklich nicht wissen, wie
ID das gemacht hat? Jeder Naturwissenschaftler, der etwas taugt, möchte
das wissen. (...) Aber die ID-Anhänger behaupten, dass sie sich nicht
darum kümmern, wie ID das machte. Alles, was zählt, ist, dass
Er (oder Sie oder Es) das machte. 'ID funktioniert auf wundersame Weise'.
Was für eine bemerkenswert unwissenschaftliche Haltung. Was für
ein erstaunlicher Mangel an Neugier über die Welt."
(SHERMER, 2000, S. 23 f.) - ins Deutsche übersetzt von
Thomas
Waschke
Es bedarf hier keiner besonderen Erwähnung, daß auch derartige
Argumente nur betretenes Schweigen hervorrufen, womit man einfach wieder
zur Tagesordnung übergeht und weiterhin die "Wissenschaftlichkeit"
schöpfungstheoretischer Lehren behauptet. Wie kann, so darf man fragen,
unter solchen Vorzeichen überhaupt ein rationaler Diskurs zustandekommen?
Wie ehrlich sind Lönnigs Appelle zur sachlichen Diskussion gemeint,
wenn er die wesentlichen Argumente schlichtweg nicht zur Kenntnis nimmt,
ja schlimmer noch: die eher nebensächlichen Details in emotiven Tiraden
regelrecht zerpflückt, unter dem Deckmantel der Wissenschaft präsentiert
und in Argumente für die Schöpfungsthese ummünzt?
Ein beredtes Beispiel dieser Argumentations-Strategie gibt auch folgende
Passage:
"In der Tat bestand meine Institutshomepage zum größten
Teil aus der Kritik einer solchen Vermischung von wissenschaftlichen Tatsachen
und persönlichen evolutionistischen Glaubenssätzen."
In dieser Aussage wird fast alles auf den Kopf gestellt. Zum einen: Wer
die "Vermischung von wissenschaftlichen Tatsachen und persönlichen
evolutionistischen Glaubenssätzen" anprangert, der sollte
wenigstens die Fairneß aufbringen und darauf hinweisen, daß
Schöpfungstheorien selbstverständlich ebenso auf eine "Vermischung"
angewiesen sind, die nachgerade ganz massiv auf der Lönnigschen Homepage
beworben und für "wissenschaftlich" befunden wird!
Zum anderen ist augenfällig, daß hier nackte Befunde als "wissenschaftliche
Tatsachen" präsentiert werden, ganz so, als wären Beobachtungen
von vorn herein objektiv richtig und unbefleckt von jeder theoretischen
Interpretation. Daß aber grundsätzlich jedes Datum im Rahmen
von vorgegebenen, transempirisch-abstrakten Theorien gedeutet (und wenn
nötig sogar relativiert oder verworfen) werden muß, das gehört
spätestens seit Galilei zur Grundeinsicht eines jeden Naturwissenschaftlers
(sofern man nicht festzustellen gedenkt, daß die Drehung der Sonne
um die Himmelskuppel eine "wissenschaftliche Tatsache" sei, die
das heliozentrische Weltbild widerlegt). Vor diesem Hintergrund ist heute
fast jedem Wissenschaftstheoretiker klar, daß es keinen Sinn macht,
von "Tatsachen" zu sprechen (näheres an dieser
Stelle).
Wer aber dennoch die Ansicht vertritt, daß man mit dem Empirismus
der Methodologie der Naturwissenschaften gerecht werden und gleichsam durch
die vermeintlichen"Tatsachen" die eigene
Weltanschauung abstützen könne, der kann der Gegenseite nicht
plötzlich den Gebrauch der eigenen Terminologie vorhalten und dann
kritisieren, daß kein Interesse besteht, sich mit ihm auf einen öffentlichen
Diskurs einzulassen:
"Im Übrigen bin ich sicher, dass auch der "biologische
Laie" angesichts der Kampagne Kutscheras und Hölldoblers leicht
herausfinden kann, wie glaubwürdig Wissenschaftler sind, die (1) ihre
Theorien zu Tatsachen erklären (...) (3) darüber
hinaus die Diskussion der Argumente gegen ihre Hypothesen um fast jeden
Preis in einer Live-Diskussion vermeiden."
Kutschera hat mir übrigens den Grund verraten, weshalb er nicht daran
denkt, coram publico mit Lönnig oder einem anderen Evolutionsgegner
zu disputieren. Dessen Begründung entspricht in etwa derjenigen des
Kreationismuskritikers L. FLANK, die im folgenden auszugsweise vorgetragenen
werden soll und dezidiert vor Live-Diskussionen warnt:
(L. FLANK, übersetzt nach Thomas
Waschke)
"Obwohl viele Gegner der Kreationisten sich danach 'sehnen',
mit diesen in einer 'offenen Debatte' zu streiten, (...) gibt es mehrere
gute Gründe, warum das nicht ratsam ist. Wie wir schon gesehen haben,
überzeugen diese Debatten niemanden, weil nur die schon Überzeugten
anwesend sein werden. Dadurch wird den Kreationisten die Möglichkeit
gegeben, die Getreuen jeder fundamentalistischen Vereinigung in der Gegend
zu mobilisieren, die dann busladungsweise erscheinen werden, um ihre Helden
anzufeuern (...) "Der Zweck einer solchen Debatte ist, die örtlichen
Kräfte zu mobilisieren, sie zu Aktionen zu bewegen und sie dazu zu
motivieren, weiter zu machen und das Aufnehmen des Kreationismus in den
Lehrplan zu unterstützen. Warum sollten wir dabei helfen?" (...)
Selbst wenn die Anwesenden bereit wären, die evolutionistische Darstellung
anzuhören (was sie nicht tun werden), sind die Hände der Debattierer
durch die übliche Form solcher Debatten (jede Seite stellt in 45 Minuten
ihren Standpunkt dar, gefolgt von einer halben Stunde Widerlegungen) gebunden.
Das Thema biologische Evolution ist so umfangreich und komplex, dass Menschen
ihre gesamte berufliche Laufbahn damit verbringen nur winzige Teilbereiche
derselben zu erforschen. Es ist schlicht unmöglich, in 45 Minuten einen
angemessenen Überblick über ein derartig komplexes Thema zu geben
(...)
Diese Einschränkungen helfen auf der anderen Seite den Kreationisten
enorm. Weil sie kein eigenes konsistentes Weltbild präsentieren können,
werden sie ihre gesamte Redezeit dazu nutzen, was liebevoll als 'Gish Gallop'
genannt wird, zu veranstalten. Das bedeutet, dass sie von Punkt zu Punkt
springen und dabei einen nicht enden wollenden Orkan von Quatsch und unzutreffenden
Annahmen über Evolution vorbringen, wobei dem armen Evolutionisten
die undankbare Rolle zufällt, diese Punkte aufzugreifen und richtig
zu stellen (...) "Der evolutionistische Streiter wird niemals in der
Lage sein, auf alle Falschinformationen einzugehen, die ein Kreationist
in diesem länglichen Debatten-Format aufstellen kann" (...) Wann
immer ein Wissenschaftler gültige naturwissenschaftliche Daten präsentiert,
braucht der Kreationist nur zu sagen: "Das ist nicht wahr". Es
obliegt dann dem Wissenschaftler, zwanzig Minuten Redezeit darauf zu verschwenden,
zu erklären, warum sie doch wahr ist. Dabei wird nicht die grundlegende
Aussage des Naturwissenschaftlers hängen bleiben, sondern die des Kreationisten.
Aufgrund des abgekarteten Spiels dieser öffentlichen Debatten stimmen
die meisten Kämpfer gegen den Kreationismus darin überein, dass
sie nichts bringen und dass man sie am besten vermeidet."
Quellen:
Mahner M (2002) Naturalismus. Naturwissenschaftliche Rundschau 55 (12),
S. 689-690
Remane A et al. (1973) Evolution. Tatsachen und Probleme der Abstammungslehre.
München
Shermer M (2000) ID Works In Mysterious Ways. Skeptic 8 (2), S. 23-24