Wie Kreationisten Glaube und Wissenschaft vermengen
Martin Neukamm, Garching 18.2.03
Antievolutionisten sind in aller Regel bestrebt, ihre Schöpfungstheorien
im Namen der Wissenschaft vorzutragen und gleichzeitig die naturalistische
Wissenschaftsphilosophie, welche die Welt ausschließlich naturgesetzlich
erklärt, als "religiöse Weltanschauung" zu kennzeichnen.
Dahinter verbirgt sich der Versuch, die Grenze zwischen Glaube und Wissenschaft
zu verwischen - eine Strategie, welcher sich jüngst auch der Biologe
und Evolutionsgegner W.-E. Lönnig in seinem Kommentar gegen den Kreationismuskritiker
U. Kutschera in "Biologen heute" bedient hat [1]. Es erscheint
daher im Sinne der Wissenschaft angebracht, zu einigen Aussagen Lönnigs
bzw. des Kreationismus Stellung zu beziehen und die sich dahinter verbergenden
Irrtümer darzulegen.
Schöpfung als wissenschaftliche Erkenntnisstrategie
Lönnig versucht, seine ungewöhnliche Wissenschaftsauffassung,
welcher zufolge auf die biologische Ursprungs- und Entwicklungsfrage mit
dem Schöpfungsakt einer übernatürlichen Wesenheit zu antworten
ist, ad verecundiam, unter Berufung auf "angesehene Forscher und Nobelpreisträger",
wie z. B. Einstein, zu rechtfertigen. Dann folgt der Hinweis, daß
"häufig aus zunächst vom herrschenden Konsens divergierenden
Auffassungen" wissenschaftlicher Fortschritt resultiere, womit gemeint
ist, daß allgemeine Schöpfungsvorstellungen eine wissenschaftliche
Alternative zur Evolutionslehre seien. Solche und ähnliche Hinweise
verfehlen jedoch aus verschiedenen Gründen ihr Ziel:
Erstens verbirgt sich hinter der schöpfungstheoretisch motivierten
Ablehnung allgemeiner Evolutionsvorstellungen keine "fortschrittliche
Auffassung", ist sie doch so alt wie die Abstammungslehre selbst [vgl.
beispielsweise 2]. Das bedeutet, daß nicht Evolutions- sondern Schöpfungstheorien
über die Jahrhunderte den "herrschenden Konsens" repräsentierten.
Erst im Darwinismus spiegelt sich die revolutionäre, "vom Konsens
divergierende Auffassung" wieder. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich
der Antievolutionismus (Kreationismus im weiteren Sinne) als wissenschaftshistorischer
Anachronismus, der zum Ziel hat, "das Rad der Erkenntnis zurückzudrehen"
[3].
Desweiteren gibt es für die Auffassung, der "herrschende Konsens"
habe den Durchbruch revolutionärer Gedanken verhindert, keine überzeugenden
Beispiele. Geht man die Stadien in der Wissenschaftshistorie durch, zeigt
sich, daß sich geniale Ideen und neue Perspektiven letztlich durchgesetzt
haben und zwar erst dann, nachdem man sich nachgerade von dem im Mittelalter
vorherrschenden, "schöpfungstheoretischen Konsensus" Zug
um Zug abgewandt und alle "Wunder" auf Naturgesetze reduziert
hatte, die nichts von uns wissen [4].
Lönnig verschweigt konsequent, daß der Vergleich von Antievolutionisten
mit religiösen Nobelpreisträgern in diesem Kontext völlig
untauglich ist: Einstein und Planck haben sich niemals gegen naturgesetzliche
Erklärungen gestemmt und den Naturalismus als notwendige ontologische
Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten akzeptiert. Einstein
hat auch Darwins Erkenntnisse anerkannt und seine anfängliche Opposition
gegen ein dynamisch evolvierendes Universum als die "größte
Eselei" seines Lebens bezeichnet. Für Einstein war Schöpfung
identisch mit der Welt und gleichsam wunderbar, weil sie eben naturgesetzlich
verstehbar ist ("deus sive natura"). Dagegen verliert sich der
Kreationismus im Obskuren, postuliert aufgrund dogmatischer Ðberzeugung
einen ontologischen Bruch zwischen der Selbstorganisation unbelebter und
lebendiger Systeme und glaubt, eine "theistische Evolution" sei
mit religiösen Glaubensfragen unvereinbar.
Die ontologische Trennung zwischen einer Einflußsphäre Gottes
und einem natürlich erschließbaren Bereich ist nicht nur für
die Wissenschaft ruinös, sondern auch für die Theologie, weil
sie im Laufe der Jahrhunderte (in der Astronomie, Geologie, Chemie usw.)
sukzessive widerlegt und der propagierte "god of gaps" in Nischenbereiche
abgedrängt wurde. Die Konsequenz ist, daß eine solche, im Antievolutionismus
vertretene Theologie sowie ihre Adepten heute kaum jemand mehr ernst nimmt,
weshalb sich auch die Kirchen überwiegend von antievolutionistischen
Thesenpapieren distanzieren.
Der Naturalismus als "religiöse Position"
Warum, so könnte man fragen, verbannt Wissenschaft alle übernatürlichen
Agentien aus der Erklärung? Lönnig spricht von "weltanschaulicher
Motivation" und koppelt sie strikt von der "naturwissenschaftlichen
Ebene" ab, womit wieder zum Ausdruck gebracht wird, daß der religiös
motivierte "Supernaturalismus" gleichberechtigt neben dem Naturalismus
stünde bzw. daß eine Theorie der "Makroevolution" ebenso
Glaube sei, wie eine Schöpfungstheorie.
Diese These ist rational nicht diskursfähig, denn hier wird verschwiegen,
daß es sich beim Naturalismus gar nicht um eine unverrückbare
Feststellung über die Nichtexistenz eines Schöpfers, sondern um
den Ausdruck einer methodischen Beschränkung handelt. Der Naturalismus
gewährleistet, daß man überhaupt auf der "naturwissenschaftlichen
Ebene" arbeiten kann [5]. Konkreter: Wissenschaft kann sich nur mit
hypothetisierten Fakten befassen, deren Existenz deduktiv überprüfbar
ist, und dies setzt wiederum voraus, daß Theorien Gesetzesaussagen
beinhalten. Nur aus naturgesetzlich formulierten Aussagen lassen sich logisch
ganz spezifische Folgerungen ableiten (deduzieren), die man an der Beobachtung
prüfen kann [4].
In einer Schöpfungstheorie werden jedoch Gesetzesaussagen zum Teil
durch den freien Willen einer übernatürlichen Wesenheit ersetzt,
über den sich beliebig spekulieren läßt. überhaupt
jeder nur denkbare empirische Effekt könnte der freien Entschlußkraft
eines Schöpfers entsprungen sein, und es ist nicht mehr logisch entscheidbar,
welche Beobachtungen die Schöpfungsthese bestätigen oder deren
Revision notwendig machten [6]. Hierin wird deutlich, daß sich alle
"Erklärungen" auf den unergründbaren Ratschluß
des Schöpfers stützen, der die Welt eben so eingerichtet habe,
wie wir sie beobachten. Damit läßt sich jede nur denkbare Fragestellung
erschlagen, aber kein Phänomen erklären, denn anstelle einer Erklärung
wird einfach der unerklärte Wille einer übernatürlichen Wesenheit
gesetzt.
Ganz anders verhält es sich mit Darwins Abstammungshypothese. Es gibt
Szenarien, welche die Revision der Abstammungshypothese logisch erzwingen
würden [7]. Auch in der Mechanismusfrage ist der Darwinismus über
sein ursprüngliches Niveau hinausgewachsen, weil "logische Falsifikationen"
dessen Weiterentwicklung erzwungen haben. Es ist daher unsinnig, wenn Lönnig
von der "Unterschlagung von Falsifikationsversuchen" redet.
Die Lückenbüßer-Theologie
Während nun aber der Naturwissenschaftler seine von einer Falsifikation
betroffenen, wohlbestätigten Theorie nicht für völlig falsch,
sondern nur für unvollkommen hält und sie im Sinne der Definition
eines Forschungsprogramms gehaltsvermehrend ¸berarbeitet [3,8], halten
dies Kreationisten immer dann für einen "unerlaubten Immunisierungsversuch",
wenn es sich in der Diskussion um die Evolutionstheorie dreht. Auch historische
Wissenslücken sowie das Ausstehen kausaler Detailerklärungen werden
irrigerweise für ein Scheitern naturalistischer (Ursprungs-) Theorien
gehalten und als Indizien für Schöpfung interpretiert [vgl. beispielsweise
9].
Diese sattsam unter der Bezeichnung "Lückenbüßer-Theologie"
geläufige "Erkenntnisstrategie" ist für die Wissenschaft
fatal, denn sie verunmöglicht jede Forschung am Detailproblem, ja es
hätte seit Anbeginn der Zeiten nichts mehr zu erforschen gegeben! Die
Existenz unvollständig beschriebener bzw. erklärter Sachverhalte
ist schließlich der Normalfall in empirischen Theorien [10], womit
sich letztlich alle wissenschaftlichen Theorien infragestellen und gegen
einen "god of gaps" eintauschen ließen!
Resümme
Dieser Artikel hatte darzulegen zum Ziel, warum Schöpfung keine wissenschaftliche
Erklärung sein kann und daß im Antievolutionismus weniger sachliche
Argumente als vielmehr die Kritik an der wissenschaftlichen Methodenlehre
im Vordergrund stehen. Die weit über die Evolutionstheorie hinausreichenden
Konsequenzen werden aber geflissentlich übergangen oder durch das inkonsistente
"Zurechtbiegen" der methodologischen Argumente überspielt
(Wer sich für die Argumentation, methodologischen und sachlichen Irrtümer
der Kreationisten im Detail interessiert, sei auf folgende Arbeiten hingewiesen
[11,12,13]).
Charakteristisch für den Kreationismus ist immer der wissenschaftsrevisionistische
Anspruch, also der Versuch, die Erkenntnisse einiger revolutionärer
Theorien zurückzudrehen und die empirisch nicht entscheidbare Faktizität
eines Schöpfers unverrückbar in die Wissenschaft einzubauen. Es
ist daher nicht nachvollziehbar, wenn Lönnig die "Intelligent-Desin-Theorie"
streng vom Bibelkreationismus abgrenzt und sie für wissenschaftlich
besser legitimiert hält, ist doch die methodologische Orientierung
in beiden Fällen dieselbe. Schief ist in jedem Falle der Vergleich
mit Nobelpreisträgern, die bestenfalls einen Pantheismus vertreten
haben und sich zur Durchsetzung ihrer Theorien nicht solch merkwürdiger
Propagandamittel zu bedienen brauchten, wie dies ein Poppenberg oder ein
Lönnig tut [vgl. 1].
[1] Evolutionsbiologie gegen Kreationismus. Eine kleine Darstellung einiger
Merkwürdigkeiten der Auseinandersetzung unter Wissenschaftlern. VdBiol/Biologen
heute, Vol: 6_2002, S. 12-15
[2] Fleischmann A (1901) Deszendenztheorie - Vorlesungen über den Auf-
und Niedergang einer naturwissenschaftlichen Hypothese. Leipzig, Georgi
[3] Ditfurth H v. (1987) Wir sind nicht nur von dieser Welt. Naturwissenschaft,
Religion und die Zukunft des Menschen. dtv-Sachbuch, Hoffman und Campe Verlag,
Hamburg
[4] Mahner M (1989) Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich
sein kann. Praxis der Naturwissenschaften - Biologie 38(8), S. 33-36
[5] Kanitscheider B (2000) Wissen und Religion. Spektrum der Wissenschaften,
1, S. 8 f.
[6] Sober E (1993) Philosophy of Biology. Westview Press. Boulder
[7] Dongen PAM v, Vossen, JMH (1984) Can the theory of evolution be falsified?
Acta Biotheoretica 33, S.33-50
[8] Lakatos I (1974) Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher
Forschungsprogramme. In: Lakatos Imre & Musgrave Alan: Kritik und Erkenntnisfortschritt.
Vieweg, Braunschweig, S. 89-189
[9] ReMine WJ (1993) The Biotic Message. Evolution Versus Message Theory.
St. Paul Science. Saint Paul, Minnesota
[10] Riedl R, Krall P (1994) Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen
Wandel. In: Wieser W (Hrsg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin
zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, S. 234-266
[11] Kutschera U (2001) Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einf¸hrung.
Parey-Verlag, Berlin
[12] Mahner M (1986) Kreationismus - Inhalt und Struktur antievolutionistischer
Argumentation. Berlin
[13] Neukamm M (2000) Die Evolutionstheorie und der moderne Antievolutionismus:
Evolution und Schöpfung im Lichte der Wissenschaft.
URL: http://thor.tech.chemie.tu-muenchen.de/~neukamm/junker.html