Dr. Werner Josef Gieffers,
08.01.03
Betreff: Evolutionsbiologie gegen Kreationismus / biologenheute 6, 2002
In diesem Beitrag weist zunächst Herr Dr. Lönnig, der die Makro-Evolution
ablehnt, darauf hin, dass er kein Kreationist sei, was aber Herr Prof. Kutschera,
ein Evolutionist, in seiner Erwiderung weiterhin behauptet. Die Kontroverse
des Artikels beruht in großen Teilen auf gravierenden erkenntnistheoretischen
Defiziten, auf die näher eingegangen werden soll.
Zum Thema Entstehung des Lebens und der Arten gibt es verschiedene Meinungen,
Weltanschauungen, wissenschaftliche Theorien und religiöse Bekenntnisse.
Drei Modelle dazu sind die wohl die am meisten verbreitetsten:
1. Welt und Lebewesen sind Schöpfung eines Schöpfers
2. Welt und Lebewesen existieren ohne Schöpfer und erklären sich
aus sich selber durch Evolution
3. Welt und Lebewesen sind durch Evolution entstanden, die aber durch einen
Schöpfer gesteuert wurde.
Unter den religiösen Bekenntnissen dominiert der biblische Schöpfungsbericht.
Die Interpretation von Genesis 1 ist aber sehr unterschiedlich. So vertreten
die Kreationisten eine wort- ja buchstabengetreue Auffassung über den
Schöpfungsakt. Ohne Rücksicht auf die Besonderheiten biblischer
Schriften (z.B. Kontext, Schriftsinn, beabsichtigte Aussage des Hagiographen,
redaktionelle Bearbeitungen, Ergebnisse der historischen Forschung sowie
Leugnung des Zusammenhangs von Offenbarungswahrheiten mit dem zeitbedingtem
Wissen der Hagiographen u.a.) steht das wortwörtliche Bibelverständnis
im Vordergrund. So wird u.a. das Sechs-Tagewerk aus Genesis 1 als ein Schöpfungsakt
in sechs 24-Stunden Tagen apodiktisch verstanden. Diese enge Schöpfungsauffassung
wird allein von den Kreationisten vertreten. Die meisten anderen christlichen
Bekenntnisse folgen dieser Schöpfungsvorstellung nicht, sondern erklären
den Schöpfungsvorgang wesentlich anders. Es ist also sachlich vollkommen
falsch, alle Vertreter des Schöpfungsmodells gemeinhin als Kreationisten
zu bezeichnen.
Es mag sein, dass einem atheistischen Denker diese Unterschiede als unwesentlich
erscheinen. Wenn er aber zum Schöpfungsmodell Stellung nimmt, kann
seine Kritik nur dann zutreffend werden, wenn er diese Unterschiede beachtet.
Wer also ein Kreationist ist, bestimmen nicht die Gegner dieses Bekenntnisses
sondern allein derjenige, der sich zum Kreationismus bekennt. Dieser Sachverhalt
wird von Herrn Kutschera vollkommen außer Acht gelassen. Er geht sogar
noch einen Schritt weiter. Obwohl Herr Lönnig unmissverständlich
erklärt, kein Kreationist zu sein und das auch sachlich belegt, ignoriert
Herr Kutschera diese begründete Selbstaussage und bestimmt ihn zum
Anhänger des Kreationismus. Natürlich drängen sich hier Zweifel
an der Urteilsfähigkeit von Herrn Kutschera auf. Man bemerkt auch,
dass hier Kritik in Beschimpfung übergeht mit dem Ziel, einen Andersdenkenden
diskreditieren zu wollen. Wenn es aber erforderlich scheint, eine Person
ins Zwielicht zu rücken, um dadurch eine Sache besser kritisieren zu
können, liegt der Verdacht nahe, dass es um die eigenen Sachargumente
vielleicht nicht zum Besten bestellt ist.
Auch frühere Arbeiten von Herrn Lönnig, die ebenfalls nicht im
kreationistischen Sinne geschrieben worden sind, werden von Herrn Kutschera
dennoch als kreationistisch gebrandmarkt, weil Herr Lönnig die naturwissenschaftlichen
Fakten zur biologischen Art als Ergebnis einer intelligenten Schöpfung
deutet. Wenn Herr Kutschera nicht erkennen kann, dass dies keine kreationistische
Aussage ist, hätte er sich dazu doch nicht äußern müssen.
Auch andere Biologen belegt er vollkommen unzutreffend mit dem "Makel"
des Kreationismus.
In der Frage nach Entstehung und Werdeprozess der Lebewesen auf dieser Erde
verfügt niemand über einen naturwissenschaftlichen Beweis. Eine
Lebens- und Artenentstehung ist für uns nicht mehr messbar, nicht wiederholbar
und auch nicht experimentell belegbar. Damit ist naturwissenschaftliche
Forschung auf diesem Feld nicht möglich. Andere Disziplinen wie die
Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie können hier eher
Auskunft geben, aber auch sie verfügen nicht über Beweise innerhalb
ihrer Erkenntnisgrenzen. Wir sind also nach wie vor auf eine Deutung angewiesen,
die sich immer nach dem persönlichen, bereits apriori existierendem
Weltbild orientiert. Das wäre anders, wenn der naturwissenschaftliche
Beweis für die Richtigkeit der Makro-Evolution gegeben wäre, was
aber lediglich Fiktion ist. Im wissenschaftlichen Bemühen um ungeklärte
Phänomene ist es gerade für den Fortschritt der Wissenschaften
erforderlich, andere Meinungen und Deutungen zu tolerieren und sachliche
Kritik ernst zu nehmen.
Herr Kutschera suggeriert dagegen, dass es "international akzeptierte
Grundsätze der Naturwissenschaft Biologie" gäbe, die einen
Deutungsversuch von Herrn Lönnig verbieten würden. Diese Denkungsweise
eines ideologischen Totalitätsanspruches erinnert an die terroristische
Wissenschaftsauffassung kommunistischer Regime, ist aber in den westlichen
Demokratien weltweit nicht erkennbar. Die freie Meinungsäußerung
über die Deutung letztlich nicht geklärter Phänomene ist
eine unabdingbare Voraussetzung auch für die naturwissenschaftliche
Forschung in der Biologie. Institute und Vorgesetzte, die nach diesem Grundsatz
handeln, ermöglichen für ihre Fachwissenschaftler eine freie Forschung.
Herr Kutschera bezeichnet es als pseudowissenschaftlich, die Welt als Schöpfung
zu deuten. Aber hat er selber denn einen Beweis für die Richtigkeit
der Evolutionslehre zu bieten? Ansonsten würde für ihn ja derselbe
Vorwurf gelten. Er sagt dazu: "Evolution ist heute eine Tatsache, die
durch das Aussagen-System "Synthetische Theorie" beschrieben und
erklärt wird." Das erkenntnistheoretische Defizit dieses Satzes
besteht darin, dass die Tatsache der Evolution, der eigentliche Dreh-und
Angelpunkt, eben nicht bewiesen sondern stillschweigend als schon bewiesen
suggeriert wird. Das Erklärungsmodell Evolution, also eine Interpretation,
wird durch Grammatik zur Tatsache erhoben. Herr Kutschera hat also auch
nichts weiter zu bieten als eine Interpretation, eine Deutung, die lediglich
verbal zum Faktum avanciert. Grammatische Metamorphosen sind aber gewiss
kein Gegenstand der Biologie und der Vorwurf des Pseudowissenschaftlichen
an Wissenschaftler mit anderen Deutungsmodellen zur Entstehung der Biosphäre
unseres Planeten sollte wohl besser vermieden werden.
Durch das "heute" im Satz wird aber diese angebliche Tatsache
wieder relativiert, weil man ja fragen könnte, was Evolution wohl morgen
sein könnte. Eine Tatsache nun, die morgen schon wieder etwas anderes
sein könnte, ist eine weitere erkenntnistheoretische Merkwürdigkeit,
eröffnet aber ungeahnte Möglichkeiten, heute dies und morgen das
zu sagen.
Deutungen befinden sich oft in der Nähe eines Glaubensbekenntnisses
und je vehementer die eigene Deutung verfochten wird, um so stärker
ist dahinter ein Glaube zu vermuten. Das vorgeschützte Wissen über
Phänomene, die letztlich nur Deutung sind und keine Fakten, ist ein
allzu durchsichtiges Feigenblatt, den eigenen Glauben zu verdecken.
Die Frage, ob Existenz und Daseinsweise der Lebewesen nun durch Evolution
oder/und durch Schöpfung zu erklären sei, ist für die Vertreter
aller weltanschaulichen Bekenntnisse eine legitime Frage und ein legitimes
Forschungsgebiet. Die Beantwortung dieser Frage wird die Erkenntnis der
Wahrheit sein, an der die Bemühungen der Naturwissenschaft einen wichtigen
Anteil hat. Der Weg dahin kann nur über die Wahrung von Toleranz erfolgen
und in der Kritik der Ergebnisse und der Sache selber, aber nicht durch
Polemik, nicht durch ideologischen Zwang und besonders nicht durch Diskreditierung
von Personen.