Zwei Bücher zur Diskussion mit Evolutionsgegnern

Vorbemerkung

In dieser Rezension, die im Skeptiker (1/05, S. 39-42) erschien, habe ich zwei Bücher, die sich thematisch teilweise überschneiden, vergleichend besprochen. Da teilweise auf das jeweils andere Buch Bezug genommen wird sind beide Rezensionen hier wiedergegeben. Ich danke der GWUP für die freundliche Genehmigung, diesen Artikel hier veröffentlichen zu dürfen.

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Eugenie Scott: Evolution vs. Creationism
Matt Young und Taner Edis (Hrsg.): Why Intelligent Design Fails .A Scientific Critique of the New Creationism

 

Eugenie Scott Evolution vs. Creationism

In den Vereinigten Staaten tobt schon seit langer Zeit ein Kampf um die Evolution, dessen Ausgang ungewiss ist. Der Wahlkampf und die Wiederwahl von Präsident Bush dürften dem Lager der Evolutionsgegner allerdings deutlichen Auftrieb verschaffen. Die christlich-wertkonservativen Wählergruppen, welche die Wahl entschieden haben, lehnen eine naturalistische Evolution strikt ab und fordern nun den Preis für ihre Unterstützung. Eine Reaktion auf die schon seit längerer Zeit bestehende Bedrohung der naturalistischen Evolutionsauffassung ist das Erscheinen von Büchern von oft hoch qualifizierten Autoren, die sich für die Belange der Evolutionsauffassung engagieren, obwohl sie ihre Lebensarbeitszeit eigentlich besser nutzen könnten.

Zwei besonders prominente Beispiele sollen hier besprochen werden. Eugenie Scott, die Vorsitzende des NCSE (National Center for Science Education, einer Organisation, die sich für den Evolutionsunterricht an öffentlichen Schulen stark macht und sich als Anlaufstelle für Lehrer versteht, die in Kontroversen mit Evolutionsgegnern verwickelt sind), ehemalige College-Professorin und Präsidentin der American Association of Physical Anthropologists, hat mit "Evolution vs. Creationism. An Introduction" ein Buch aus der Praxis für die Praxis geschrieben.

Scott bezeichnet ihr Buch als "one stop shopping": Der Leser soll hier zwischen zwei Buchdeckeln alles finden, was er für die Diskussion mit Evolutionsgegnern braucht. Scott hat ihr Buch vom Niveau her für aufgeweckte Oberschüler und Studenten der Eingangssemester (geschrieben. Die Autorin empfiehlt zwar, bei intensivem Interesse weitere Arbeiten heranzuziehen (zu jedem Kapitel findet man Angaben zu weiterführende Literatur und auch Links zu Internet-Seiten), das Buch erhebt aber den Anspruch, Lehrern und Schülern die Grundlagen von Naturwissenschaft und Religion so umfassend zu vermitteln, dass sie eine "Landkarte" an der Hand haben, mit der sie auch die "Schlaglöcher auf dem Informations-Highway" vermeiden können. Die Diskussion mit Evolutionsgegnern findet ja zunehmend im Internet statt, und dort ist es oft sehr schwer, die Qualität der Argumentation einzelner Beiträge zu beurteilen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert Im ersten Teil legt Scott die Grundlagen für die weitere Diskussion. Zunächst stellt sie unter (lern von Montage entlehnten Motto "Science: Truth Without Certainty" die Grundlagen der Wissenschaftstheorie dar. Scott legt dabei großen Wert auf eine Darstellung der grundsätzlichen Methoden zur Erkenntnisgewinnung in den Naturwissenschaften und deren Grenzen. Dann folgt eine knappe, aber die wesentlichen Punkte klar herausarbeitende Darstellung der modernen Evolutionstheorie. Das letzte Kapitel dieses Teils stellt auf der einen Seite das Spektrum von religiös motivierten Evolutionsgegnern heraus und verdeutlicht auf der anderen Seite, dass sich Religion und Naturwissenschaft mit vollkommen verschiedenen Bereichen befassen und mit unterschiedlichen Methoden arbeiten, sich also gar nicht widersprechen können. Es ist aber durchaus möglich, religiös motivierte Aussagen über die reale Welt mit den Methoden der Naturwissenschaft kritisch zu prüfen, beispielsweise die Behauptung, dass die Erde nur wenige Jahrtausende jung sei.

Der zweite Teil ist einer Darstellung der Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Evolution und Schöpfungslehre in den USA gewidmet. Einen breiten Raum nimmt dabei die Darstellung von Gerichtsurteilen ein. Diese Ausführungen richten sich besonders an lokale Gremien, die darüber informiert werden, mit welchen Argumenten Evolutionsgegner vor Gericht für ihre Sache eintraten. Da Evolutionsgegner im Rahmen der "Graswurzelstrategie" versuchen, über Mitbestimmungsrechte kreationistisches Gedankengut z.B. in den Schulunterricht zu bringen, sind für amerikanisch Leser diesbezügliche Informationen durchaus relevant. Im letzten Kapitel dieses Teils befasst sich Scott mit Intelligent Design (ID). Die Autorin bezeichnet diese moderne Variante des Kreationismus als "Neokreationismus" und geht recht umfassend auf die spezifischen Unterschiede dieser Auffassung zum "klassischen" Kreationismus ein. Scott arbeitet sehr klar die prinzipielle Argumentationsstruktur dieser Auffassung heraus und zeigt deren Lücken auf.

Der dritte und letzte Teil des Buchs, der fast die Hälfte des Umfangs ausmacht, besteht aus einer Zusammenstellung ausgewählter Artikel von Kreationisten und Widerlegungen ihrer Thesen durch Naturwissenschaftler. In sechs Kapiteln werden hier Arbeiten aus verschiedenen Bereichen, beispielsweise Analysen von Prozessen vor amerikanischen Gerichten, Texte zur Wissenschaftstheorie sowie zu Themen aus dem Bereich der Biologie und Kosmologie aus anderen Quellen abgedruckt. Hier ist kritisch anzumerken, dass Scott zwar jeweils eine Einführung in das Thema und zum jeweiligen Artikel schreibt, aber nicht auf den ersten Blick kenntlich macht, welchem Lager der betreffende Artikel zuzuordnen ist. Vor allem Leser mit geringem Kenntnisstand, die in dem Buch blättern, könnten so möglicherweise Irrtümern hinsichtlich der Intention der Darstellung erliegen. Eine Liste mit weiterführenden Arbeiten rundet das Buch ab.

Aufgrund der Breite des behandelten Stoffes ist natürlich nicht zu erwarten, dass in diesem Buch jedes relevante Detail aufgeführt wird. Es ist Scott aber auf jeden Fall gelungen, dem interessierten Leser eine umfassende einführende Darstellung zu bieten, auf deren Basis sich dieser, beispielsweise anhand der aufgeführte Quellen oder InternetSeiten, intensiver mit der Thematik befassen kann.

Matt Young und Taner Edis (Hrsg.) Why Intelligent Design Fails. A Scientific Critique of the New Creationism

Einen vollkommen anderen Ansatz verfolgt das zweite Buch. "Why Intelligent Design Fails. A Scientific Critique of the New Creationism", das die beiden Physiker Matt Young und Taner Edis herausgegeben haben, ist ein Sammelband, an dem 13 Autoren mitgearbeitet haben. Sie sind allesamt anerkannte Fachwissenschaftler, die nicht nur Veröffentlichungen in ihren jeweiligen Fachgebieten vorweisen können, sondern auch schon aktiv an der Diskussion mit Evolutionsgegnern beteiligt waren. Das Spektrum ihrer Fachgebiete reicht von Biologie über Physik bis hin zu Mathematik und Informatik. Dieses Buch erhebt einen ganz anderen Anspruch als das eher umfassende Werk Scotts. Wie schon der Untertitel besagt, ist es auf der einen Seite spezieller: es behandelt nur "New Creationism", worunter, wie oben schon erwähnt, vor allem Intelligent Design (ID) zu verstehen ist. Auf der anderen Seite streben die Autoren eine naturwissenschaftliche Kritik an. Die Herausgeber gehen davon aus, dass sich die bisherigen Kritiken in Buchform vor allem auf philosophischem Gebiet mit ID auseinander gesetzt haben und insbesondere theologische, philosophische und wissenschaftstheoretische Aspekte behandelten. Mit dem vorliegenden Buch soll diese Lücke geschlossen werden. ID, das ja den Anspruch erhebt, eine echte Wissenschaft zu sein, soll nicht auf philosophischem Gebiet widerlegt werden, indem man dieser Auffassung das Etikett "unwissenschaftlich" anhängt, sondern es geht darum, zu zeigen, dass die offenen Fragen, aus denen ID seine Existenzberechtigung ableitet, auch im Rahmen der üblichen Naturwissenschaften angegangen werden können, ja teilweise sogar schon gelöst sind.

Das Buch wendet sich an Naturwissenschaftler, Lehrende dieser Fachbereiche und auch an interessierte Leser mit Vorbildung, wie Leser von populären Büchern über Naturwissenschaften, Studenten und Naturwissenschaftler ohne spezielle Vorbildung. Die Beiträge liefern auf durchweg hohem Niveau Widerlegungen der üblichen naturwissenschaftlichen Behauptungen von ID-Vertretern. Der vorliegende Band hat sieh zum Ziel gesetzt, eine Standard-Referenz für jeden zu sein, der ernsthaft an einer Diskussion über die Inhalte des ID auf naturwissenschaftlichem Gebiet interessiert ist. Ferner wollen die Autoren zeigen, dass die Probleme, aus denen ID seine Existenzberechtigung ableitet, im Rahmen des Naturalismus nicht nur lösbar, sondern zum großen Teil sogar schon gelöst sind. ID wird dabei durchaus ein gewisses Potenzial zugestanden, das es aber bisher noch nicht eingelöst hat.

Aus Platzgründen ist es leider nicht möglich, auf alle Artikel detaillierter einzugehen. Es soll genügen, den Schwerpunkt der jeweiligen Betrachtungen anzureißen. Neben einer allgemeinen Einführung der Herausgeber enthält der Sammelband Artikel, die sich mit eher biologischen Detailfragen der ID-Diskussion befassen. Der Physiker Matt Young zeigt, warum die auf Analogien beruhenden Argumente von Behe und Dembski nicht stichhaltig sind. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag des Biologen und Software-Entwicklers Gert Korthof, der die, soweit mir bekannt ist, fundierteste Kritik am so genannten Grundtypen-Modell (der Designer erschuf Stammformen, aus denen sieh im Lauf der Zeit durch Mikroevolution die Organismen entwickelten, die wir heute kennen) darstellt. Der Genetiker David Ussery untersucht die Behauptung, dass irreduzibel komplexe Systeme nicht naturalistisch entstanden sein konnten. Der Wirbeltierpaläontologe Alan Gishlick greift diesen Gedankengang auf, indem er am Beispiel der Evolution des Vogelflugs zeigt, dass es zwar irreduzibel komplexe Strukturen gibt, deren Entstehung aber naturalistisch erklärt werden kann. Der Pharmakologe lan Musgrave zeigt anhand eines "Paradepferds" des ID, der Bakteriengeißel auf, dass man auch hier mit naturalistischen Mechanismen zu befriedigenden Erklärungen bezüglich deren Entstehung gelangen kann. Andere Autoren kritisieren die Kernaussagen von Dembski, der so etwas wie die intellektuelle Speerspitze des 1D darstellt. Der Archäologe Gary Hurd weist anhand von Beispielen aus der gerichtsmedizinischen Praxis nach, dass der so genannte explanatory filter Dembskis, mit dem man angeblich ID nachweisen können sollte, nicht zuverlässig arbeitet. Der Informatiker Jeffrey Shallit und der Zoologe und Computer-Spezialist Wesley Elsberry analysieren die wahrscheinlichkeitstheoretischen Ansätze Dembskis und zeigen deren inhaltliche Mängel auf. Der Physiker Mark Perakh kritisiert die Überlegungen Dembskis zu den sogenannten "Free Lunch-Theoremen", nach denen angeblich Evolution durch Mutation und Selektion nicht funktionieren könne. Die anderen Beiträge befassen sich mit spezielleren Themen. Der Philosoph und Biologe Niall Shanks und der Biomathematiker Istvan Karsai befassen sich mit den Möglichkeiten der Entstehung komplexer Strukturen durch Selbstorganisation. Der Physiker Taner Edis schließlich untersucht Argumente Dembskis, dass lediglich durch Zufall und Notwendigkeit keine komplexen Strukturen entstehen könnten. Der Astronom Victor Stenger befasst sich mit einem weiteren wesentlichen Argument der ID-"Theoretiker", dass das Universum exakt sobeschaffen sei, dass wir existieren können. Auch wenn der Schwerpunkt der Beiträge, wie erwähnt, explizit auf naturwissenschaftlicher Kritik liegt, findet man dennoch einen Beitrag der Physiker Mark Perakh und Matt Young, in dem die Frage, ob ID eine Naturwissenschaft ist, analysiert wird (natürlich ist es, zumindest in der derzeitigen Form, keine).

Für den Einstieg in eine intensivere Beschäftigung ist das umfangreiche Literaturverzeichnis (es umfasst immerhin 16 Seiten bei einem Buch mit etwa 200 Seiten Text) eine große Hilfe. Zudem werden in einem Anhang Organisationen und Webseiten aufgeführt und kommentiert. Den Autoren dieses Buchs ist es ebenfalls gelungen, ihre Ziele zu verwirklichen. Kritisch kann allenfalls diskutiert werden, ob ID nicht über Gebühr aufgewertet wird, indem sich Autoren ihrer Qualifikation mit dieser nicht-wissenschaftlichen Auffassung so intensiv befassen. Es ist, vor allem nach dem Ausgang der Wahl in den USA, leider davon auszugehen, dass zumindest in den Vereinigten Staaten diese Auseinandersetzung erforderlich wird.

Beide Bücher sind in englischer Sprache erschienen. Eine Übersetzung ist nicht zu erwarten, weil sich beide, vor allem aber Scotts Buch, sehr speziell mit amerikanischen Verhältnissen befassen. Beide Bücher sind zwar nur auf der Basis der spezifischen amerikanischen Situation verständlich (an den Schulen ist Religionsunterricht verboten, daher sind Evolutionsgegner gezwungen, ihren Standpunkt unter dem Deckmäntelchen der Naturwissenschaft in den Lehrplan zu schmuggeln), da aber die Evolutionsgegner in Deutschland mit denselben Argumenten auftreten, sind beide Titel auch deutschen Lesern uneingeschränkt zu empfehlen. Sie finden dort alle Argumente, die für eine intensive Diskussion erforderlich sind. Der Band von Scott ist dabei vor allem für Leser empfehlenswert, die sich umfassender über das ganze Spektrum von Evolutionsgegnern informieren möchten, während sich der Sammelband von Young und Edis eher an naturwissenschaftlich gebildete Menschen richtet, die sich auf sehr hohem Niveau mit der zurzeit gefährlichsten Variante der Evolutionskritik befassen möchten.

Bibliographische Angaben

Scott, Eugenie
Evolution vs. Creationism
2004 Westport, Greenwood Press
ISBN 0313321221, 272 S., € 41,90 ($ 49,95)

Young, Matt;Edis, Taner (Hrsg.)
Why Intelligent Design Fails .A Scientific Critique of the New Creationism
2004 Piscataway, Rutgers University Press
ISBN 081353433X, € 33,50 ($ 39,95)

 



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18. November 2005
18. November 2005