Kotthaus, Jochem

Propheten des Aberglaubens

Lit-Verlag, Münster 2003 (Reihe Religionskritik, Bd. 4)
ISBN 3-8258-7032-4, 160 Seiten, € 15,90

Vorbemerkung Diese Rezension erschien im Skeptiker 4 / 2003 S. 163

Die Geschichte des deutschen Kreationismus ist bislang noch nicht geschrieben, und die letzte kritische Veröffentlichung zum Thema liegt lange zurück. Das vorliegende Buch will helfen, diese Lücke zu schließen.

Den Rahmen für das Buch bildet ein Vergleich der Wissenschaft mit einem Fußballspiel: Die Beteiligten an diesem Spiel müssen bestimmte Regeln einhalten. Kreationisten wären in diesem Bild Tennisspieler, die nicht nur mitspielen möchten, sondern auch noch die Regeln in ihren Sinne ändern wollen. Nach einer Klärung grundlegender Begriffe (wie Kreationismus, Glaube, Aberglaube etc.) zeichnet Kotthaus die Geschichte des amerikanischen Kreationismus, der die Basis für den deutschen darstellt, kurz nach. Er unterscheidet dabei drei Phasen. Zunächst gab es den Kreationismus nur in den USA, dann wurde er durch Übersetzungen der amerikanischen Arbeiten auch in Deutschland bekannt. In der dritten, seit etwa 1990 andauernden Phase sucht der deutsche Kreationismus seine Eigenständigkeit in einer so genannten Akademisierung, wobei der unerträglich polemische Ton, die offene Evangelisierung sowie die nachlässige methodische Arbeit der amerikanischen Autoren vermieden wird. Im nächsten Kapitel werden die seiner Auffassung nach wichtigsten internationalen Kreationisten (Morris, Gish, Bliss, Wilder-Smith) vorgestellt und charakterisiert. Es folgen Informationen über die deutschen Kreationisten Scheven, Gitt (“Kettenhund des deutschen Kreationismus”), Junker (“nimmermüder Organisator und Autor”) und Scherer (“fachliche Leitfigur”). Anschließend wird der Kreationismus im gesellschaftlichen Kontext dargestellt. Hier werden auch die Auffassungen der Zeugen Jehovas (als klar abgrenzbarer Gruppe mit einer gewissen Relevanz) und die Bedeutung des Internet für die kreationistische Bewegung analysiert. Im letzten Teil geht Kotthaus auf die kreationistische Kritik an der Evolutionslehre sowie auf die Vorwürfe ein, die Evolutionstheorie sei Religionsersatz oder wissenschaftstheoretisch nicht besser begründet als die Schöpfungslehre. Der Autor kommt zu dem Schluss, es gehe nicht an, dass Kreationisten die Regeln des Spiels verändern dürfen.

Das Buch unterscheidet sich von den “üblichen” Arbeiten zum Thema Kreationismus darin, dass es dem Autor, wie er im Vorwort betont, nicht darum geht, die Tatsachenbehauptungen der Kreationisten (z.B. über das junge Erdalter oder die Existenz einer Sintflut) zu widerlegen. Vielmehr will er durch wissenschaftstheoretische Überlegungen – die allerdings nicht explizit ausgeführt werden – aufzeigen, warum die Argumentationsstruktur des Kreationismus auf der einen Seite in einem wissenschaftlichen Diskurs unzureichend ist, auf der anderen Seite aber dennoch eine Gefahr darstellt. Diese Gefahr sieht Kotthaus darin, dass die “akademisierte” Variante des Kreationismus im wissenschaftlichen Diskurs “salonfähig” werden könnte. Die Einlösung dieses Anspruchs würde die bewährte Wissenschaft vernichten, die aus gutem Grund ausschließlich naturalistisch argumentieren kann.

Unter Kreationismus versteht Kotthaus letztlich jede Auffassung, die einen Supranaturalismus in die wissenschaftliche Diskussion einführen will. Unter dieser extrem weiten Definition von “Kreationismus” leidet die Argumentation an vielen Stellen. Denn sie umfasst, wie Kotthaus auflistet, auch die so genannte theistische Evolution (“Evolution ist die Schöpfungsmethode Gottes”) und andere Vorstellungen. Dadurch entsteht das Problem, dass man keine verallgemeinernden Aussagen mehr machen kann, die für alle Positionen gelten. Kotthaus schreibt beispielsweise: “Das zentrale Problem des Kreationismus ist, dass sich ein wortwörtliches Bibelverständnis nicht mit den Methoden und Annahmen naturwissenschaftlicher Forschung deckt.” (S. 142) An anderer Stelle (S. 35) schreibt er, dass Intelligent Design “die Beschränkungen des biblisch motivierten Kurzzeit-Kreationismus [ ... ] hinter sich gelassen“ hat. Das “zentrale Problem” existiert also nicht für den Kreationismus, sondern nur für eine bestimmte Version des Kreationismus. Indirekt wird dieses Problem auch anhand der Stoffauswahl deutlich: Der größte Teil des Buchs beschäftigt sich mit Kurzzeit-Kreationisten. Was auf diese Gruppe zutrifft, lässt sich aber nur in den wenigsten Fällen auf die gesamte Gruppe, die Kotthaus als Kreationisten bezeichnet, verallgemeinern. Auch der Versuch, Intelligent Design (ID) als Fortführung des Kurzzeit-Kreationismus zu deuten, überzeugt nicht. Viele Kreationisten argumentieren zwar, vor allem wenn sie sich an Gebildete wenden, auf der Ebene des ID, und de facto sind die meisten Vertreter von ID in der Tat eher fundamentalistisch orientierte Christen oder Muslime, die ID vermutlich nur als ersten Schritt sehen, um den Intelligenten Planer letztendlich im Sinne ihrer jeweiligen Theologie interpretieren zu können. ID ist aber im Gegensatz zum Kreationismus im engeren Sinn vom Prinzip her ohne Bezug auf irgendwelche Offenbarungsreligionen vertretbar.

Daher hinterlässt das Buch einen eher zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite zeigt Kotthaus ein durchaus vorhandenes Problem auf: Was würde passieren, wenn man supranaturalistische Elemente in der wissenschaftlichen Diskussion zuließe? In diesem Zusammenhang spielen aber die Formen des Kreationismus, die Kotthaus beschreibt, keine besondere Rolle, eben weil sie sich auf “Tatsachenbehauptungen” stützen, die auf einer fundamentalistischen Bibelinterpretation gründen und daher ohnehin unhaltbar sind. Kotthaus erkennt zwar, dass die eigentliche Gefahr für die naturalistische Wissenschaft im ID liegt, zieht daraus aber nicht die Konsequenz, diese Form des Anti-Naturalismus, für den die biblische Überlieferung zunächst keine Rolle spielt, näher zu analysieren.

Es ist somit schwer einzuschätzen, an welche Zielgruppe sich das Buch wenden könnte. Ein Lehrer, der von Schülern mit kreationistischen Thesen konfrontiert wird, wird in diesem Buch keine Verteidigung der Evolutionstheorie finden. Für einen an der Geschichte des Kreationismus Interessierten ist das Buch nicht ausführlich genug. Es bietet jedoch eine guten Übersicht über die wesentlichen Personen und Organisationen in Deutschland, die eine naturalistische Evolution kritisieren. Lesenswert sind auch die Ausführungen über die theologischen Hintergründe der jeweiligen Auffassungen. Das Buch kann daher vor allem den Lesern empfohlen werden, die sich über die wichtigsten Gruppierungen von Evolutionsgegnern in Deutschland informieren wollen.

Thomas Waschke



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14. Januar 2004
14. Januar 2004