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This is an answer to Manfred Stephan’s reply to my critique of the 'geology of biblical primeval history' by the 'Studiengemeinschaft Wort und Wissen'. Their literal exegesis of primeval history (Gen.1-11) is based on a dogmatic prejudice derived from a literal exegesis of the New Testament. It leads to a contradiction between their religious motivation on the one hand, and the ‘scientific’ label of their association on the other.
The intention of biblical texts may well be historical, however, the intention of their author(s) can be quite different in such works of historical fiction.
Stephan’s analysis of the impact scenario is a failed attempt to extenuate this giant problem. In silence, he passes over the bulk of evidence for impacts given by the cratered surfaces of the other planets and the moon. He excludes even some of the largest terrestrial impact craters from consideration, because he does not see their potential for mass extinctions, probably meaning that they posed no life-threatening harm to the biblical patriarchs living on earth during the time of the corresponding impacts.
Stephan’s attempt to interpret the Genesis-text according to 'geology of biblical primeval history' fails to convince.
Im August 2005 erschien die oben genannte Entgegnung von Manfred Stephan auf der Website der Studiengemeinschaft Wort und Wissen1. Stephans 63 Seiten langes Werk2 bezieht sich u.a. auf meine beiden Artikel3 aus dem Jahr 2004, die sich auf der Website von Thomas Waschke4 finden.
Offensichtlich macht sich Manfred Stephan schon länger Gedanken über die Grundlagen einer ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ und er plant ein Buch zu diesem Thema, was die Länge der „Entgegnung“ erklärt.
Wie ich voriges Jahr schon schrieb, habe ich eigentlich kein Interesse, diese Diskussion überhaupt fortzusetzen. Aber nun hat sich Manfred Stephan die Mühe gemacht, eine Entgegnung zu schreiben, außerdem auf andere Veröffentlichungen von mir Bezug genommen, so daß ich doch darauf eingehen will. Aber der Leser und die Leserin seien ‚gewarnt’: Dies wird eine mühsame Punkt für Punkt – Auseinandersetzung. Es ist erforderlich, die „Entgegnung“ und auch meine ursprüngliche Kritik gelesen zu haben, wenn man den roten Faden jederzeit vor Augen haben will. Trotzdem wünsche ich eine angenehme Lektüre!
Zu Kapitel 1: „Zur ‚wörtlichen’ Bibelauslegung – die biblische Urgeschichte will historisch verstanden werden.“ (S.2-4)
Manfred Stephan nimmt meine Kritik eines ‚wörtlichen’ Textverständnisses im Bereich der biblischen Urgeschichte zum Anlaß, diese Art der Auslegung zu verteidigen. Er beginnt mit der Vermutung, mit „wörtlich“ meine ich den sogenannten „Literalsinn (lat. sensus literalis)“ (S.2). Das ist allerdings nicht der Fall und so beginnt der Aufsatz leider gleich mit einem Mißverständnis.
Mit „wörtlich“ meine ich „wörtlich wahr“, so wie man es umgangssprachlich versteht5. Die grundsätzlichen Unterscheidungen zwischen Poesie, Prosa, Metaphorik, Gleichnis, Historie usw., die Stephan in diesem Abschnitt anführt, sind selbstverständlich bei jeder Auslegung zu beachten. Wir werden aber sehen, daß er das selbst nicht konsequent tut, ja gar nicht tun kann.
Daß man einen Text im ‚Literalsinn’ wörtlich nimmt, umfaßt nach Stephan z.B.:
„Historisch gemeinte Texte sind als historisch auszulegen, gleichnishaft gemeinte als Gleichnis usw..“(S.2).
Die Studiengemeinschaft faßt die biblische Urgeschichte als historisch gemeintes wahres Dokument auf – in seinen Teilen bezeichnet als „Schöpfungsbericht“ (S.2), „Berichte der Urgeschichte“ (S.6) usw. - das als solches zu akzeptieren sei. Wenn man die Urgeschichte so beim Wort nimmt, gelangt man zum Kurzzeitmodell mit einer Schöpfung vor erst ca. 6000 bis 10000 Jahren.
Die Urgeschichte wird von Wort und Wissen hauptsächlich deshalb wörtlich genommen, weil man auch das Neue Testament wörtlich nimmt. Jesus bezieht sich - den Evangelien zufolge - auf die Urgeschichte als wahre Geschichte, so wird es in mehreren Veröffentlichungen von Wort und Wissen begründet und so begründet es auch Manfred Stephan (S.4). Die Studiengemeinschaft ist also dogmatisch gezwungen, die Urgeschichte ebenfalls wörtlich zu nehmen. Das muß man klar sehen: Die Selbstbezeichnung des Vereins als „wissenschaftlich“ hat hier ihren Widerspruch, denn Wissenschaftlichkeit bedeutet u.a. die prinzipielle Bereitschaft, alles in Frage zu stellen6. Die Arbeit der Studiengemeinschaft hat aber ihren Auslöser in dem, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln prinzipiell nie in Frage gestellt werden darf, weil es dogmatisch fixiert ist.
An welchem wissenschaftlichen Faktum würde Manfred Stephan denn erkennen können, daß der seiner Ansicht nach historisch gemeinte Text in Wirklichkeit als historische Fiktion gemeint war, vielleicht in ähnlichem Sinne wie z.B. die bekannte uralte Tradition der Verherrlichung verstorbener Herrscher? Es kann gar kein solches Faktum geben, denn die dogmatische Festlegung schließt die Existenz solcher Fakten aus. Damit fehlt ihm bei der Unterscheidung literarischer Ausdrucksformen für die Urgeschichte eine komplette Gattung: Die historische Fiktion.
Es ist allerdings hochinteressant zu sehen, wie schwierig es ist, eine unwissenschaftliche Voraussetzung in praktischer wissenschaftlicher Arbeit durchzuhalten, und zwar am Beispiel eines anderen Wort und Wissen - Autors, Uwe Zerbst, dessen historisch-kritische Analyse der Zensuszahlen7 im Buch Numeri ich kürzlich rezensiert habe8. Dort wird der Bibeltext, der genauso historisch gemeint zu sein scheint wie die Urgeschichte, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisiert und abgeändert, um eine heute noch vertretbare realistische Textfassung zu erzeugen.
Manfred Stephan meint, daß Zerbst „eine sprachliche Lösung favorisiert, ohne die Zahlentexte historisch abzuwerten.“(S.8 Fußnote 67). Ich bezweifle, daß er den Beitrag von Zerbst richtig verstanden hat. Die Zahlen werden von Zerbst größtenteils verworfen … und das soll keine Abwertung der „Zahlentexte“ sein? Er tut das, was Stephan als „Willkür“ kritisiert, indem er „überall dort, wo die Inhalte heutiger Weltsicht nicht entsprechen, den Textsinn änder[t]“ (S.4), ja er geht deutlich darüber hinaus: Er ändert den vorliegenden Text solange ab, bis er eine für ihn glaubhafte Gestalt hat. Wenn das so möglich ist, warum wird bei Wort und Wissen überhaupt noch versucht, die Urgeschichte historisch beim Wort zu nehmen?
Zu Kapitel 2: „Aussageabsicht der Texte: Kurzzeithorizont der Urgeschichte“ (S.5-11)
In 2.1 „Zu den Schöpfungstagen“ versteht Stephan das hebräische Wort ‚jom’ im Sinne eines natürlichen Tages. Dem stimme ich zu. Die Schwierigkeiten, die sich für die ersten drei Schöpfungstage durch die Abwesenheit der Sonne ergeben, sind gewiß nicht größer als die Vorstellung einer 6-Tage-Schöpfung überhaupt. Eine literarische Fiktion ist nicht unbedingt konsistent.
In 2.2 „Zu den genealogischen Listen“ von Gen.5 und 11 betont Stephan deren zeitlich-chronologische Bedeutung. Außerdem stellen die Genealogien Zusammenhänge zwischen den genauer beschriebenen Zeitabschnitten her. Ein Schöpfungsdatum läßt sich errechnen und mit ein paar Zusatzannahmen das aktuelle Weltalter bestimmen. Das alles ist auf fiktionaler Ebene leicht möglich.
Manfred Stephan stellt allerdings fest:
„Wirklicher Geschichtscharakter und Kurzzeithorizont wurde [damals] generell als selbstverständliche Aussageabsicht der Urgeschichtstexte angesehen. Das gilt auch für Gegner der Bibel. Zwar bestritt man auf gegnerischer Seite die Tatsächlichkeit des Geschichts- und Kurzzeitcharakters; es wurde jedoch nicht geleugnet, dass dies die Aussageabsicht der Texte ist.“ (S.10)
Wenn die historische Aussage von den Lesern als intentio operis zugestanden und ‚nur’ die Tatsächlichkeit bestritten wurde, dann folgt daraus aber nicht, daß der Text vom Autor als historisch wahr, also nicht als Fiktion angesehen wurde. Denn auch in historischer Fiktion ist die Aussageabsicht des Textes historisch, war aber vom Autor nicht tatsächlich historisch gemeint. Das Phänomen, daß altehrwürdige Texte in späterer Zeit gerne für wahr gehalten oder ausgegeben werden, war schon in der Antike zu beobachten9 und ist es bis heute. Aber das ist kein Beweis für richtige Einschätzung der Realitäten. Doch die Studiengemeinschaft muß unbedingt an der Tatsächlichkeit festhalten. Er darf keine Fiktion sein, denn sonst hätte Jesus sich geirrt.
Wohl deshalb setzt sich Manfred Stephan in einem langen Exkurs „Zahlen in Genesis 5 keine Altersangaben, nur Textsicherung?“ mit meinem Aufsatz10 von 1998 zu diesen Zahlen auseinander. Darin hatte ich nachgewiesen, daß die Längen des Kapitels Gen.5 und seiner Abschnitte kaum zufällig mit den Altersangaben für Henoch übereinstimmen. (Henochs Leben wird in einem Abschnitt dieses Kapitels beschrieben.)
Textsicherung war ein Erklärungsvorschlag von Claus Schedl für die Bedeutung der Zahlen, ein Vorschlag, der für mich keine Exklusivität beansprucht. Im Titel des Exkurses wird dazu eine falsche Alternative aufgebaut („keine Altersangaben, nur Textsicherung“), denn bei den Zahlen geht es aus mindestens zwei wohlbekannten Gründen nicht nur um Textsicherung. Zum einen wurde bei Henochs Gesamtalter von 365 Jahren vermutlich mit Zahlensymbolik gearbeitet, die ihre Bedeutung natürlich nicht in einer zufällig entstehenden Kapitellänge von 365 Wörtern, sondern wahrscheinlich in der Länge des Solarjahres hat. Zum anderen haben die Zahlen dieses Stammbaums auf semantischer Ebene offensichtlich die Funktion von Altersangaben! Das sollte eigentlich keiner besonderen Erwähnung bedürfen.
Textsicherung und Zahlensymbolik sind allerdings eine einfache Antwort auf die schwierige Frage, welche tatsächliche historische Bedeutung diese Zahlen hatten, im Gegensatz zu der mit komplizierten Problemen behafteten Annahme, die Menschen seien damals regelmäßig fast 1000 Jahre alt geworden. Den komplizierten Teil entfernen wir mit Occam’s razor, im Prinzip genauso wie Prof. Siegfried Scherer in seinem Labor. So ergibt sich die Vorstellung von superalten vorsintflutlichen Patriarchen als Fiktion.
Nun zu einigen Details des Exkurses:
Stephan leitet den Exkurs mit einer Erklärung ein, was Gematrie sei:
„Zum Verständnis sei darauf hingewiesen, dass Zahlen im Hebräischen als Buchstaben wiedergegeben werden. Man könnte also Zahlen in Form von Wörtern oder Sätzen verschlüsseln; die Zahlen wären durch den Text gleichsam chiffriert.“ (S.7)
Hier liegt ein fundamentaler Irrtum vor. Zahlen können im Hebräischen mit Buchstaben wiedergegeben werden. Das ist aber bei keiner der im Textcorpus der hebräischen Bibel genannten Zahlen der Fall. Die Altersangaben in Gen.5 sind also alle mit Zahlwörtern angegeben.
Es ist verblüffend, daß Stephan behauptet, daß ich in meinem Aufsatz eine gematrische Lösung vertrete. Ich habe in Genesis 5 gar keine Gematrie gefunden. Möglicherweise hat er diesen Aufsatz mit einem anderen verwechselt, den er in einer Fußnote zitiert11. Jedenfalls sind alle seine Referenzen zu meinen angeblichen gematrischen Vorschlägen zu Gen.5 falsch.
Auch gibt es in Gen.5 keine „verborgene[n] Aussagen, denen Gematrie zugrunde liegt“ (S.8) Welche Aussagen sollten denn da verborgen sein?
Die Formulierung, die Jahreszahlen folgten „einer nach versteckten Zahlen geordneten Textfolge“(S.9) ist schlechterdings falsch, denn es gibt keine versteckten Zahlen in Gen.5. Die Zahlen stehen für jeden Leser einer Bibelübersetzung gut sichtbar im Text, man braucht noch nicht einmal Hebräisch zu können.
Ich habe den Eindruck, daß es hier darum geht, meinen faktischen Beobachtungen den Mantel des numerologisch Obskuren umzuhängen.
Jedenfalls nimmt Manfred Stephan an, daß ich Gen.5 für vollständig fiktiv halte12. Aber das ist ein Irrtum. Er ist Ausdruck der falschen Alternative, die er in diesem Exkurs verfolgt. Historische Fiktion schließt ja einen Anteil historisch wahrer Bestandteile gar nicht aus, ja es ist oft erst der Reiz des historisch Fiktionalen, wenn es um tatsächliche historische Personen und Begebenheiten kreist! Warum sollte es zu den in Gen.5 genannten Namen keine realen Persönlichkeiten gegeben haben, auf die sich das Kapitel noch vage bezieht?
Im nun folgenden Abschnitt des Exkurses sind Stephans Argumente so eng mit fehlerhaften Annahmen über meinen Artikel verknüpft, daß ich auf eine Auseinandersetzung verzichte. Lediglich eine Kuriosität sei herausgegriffen, weil sie direkten Bezug zum Thema ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ hat. Stephan meint:
„Eine Hauptschwäche von Heinzerlings Deutung besteht darin, dass offenbar kein frühjüdischer Autor dieses Zahlenspiel erkannt hat, selbst nicht schriftgelehrte Verfasser späterer alttestamentlicher Bücher […].“ (S.8)
Es ist also ein Hauptkriterium für die Richtigkeit einer Beobachtung am biblischen Text, daß sie bereits in der Antike gemacht, schriftlich vermerkt und bis heute überliefert wurde. Hallo? Dann können wir ja die Erforschung der Bibeltexte praktisch einstellen, denn die überlieferten Dokumente frühjüdischer Autoren dürften größtenteils bekannt sein.
Und offensichtlich hat auch keiner dieser frühjüdischen Autoren erkannt, daß die von der modernen Historischen Geologie eruierten Vorgänge wie z.B. Kontinentalverschiebung und Meteoritenimpakte großenteils als Megakatastrophen in den wenigen tausend Jahren der vorsintflutlichen Zeit abliefen und dort bereits das irdische Leben hinmeuchelten… und das, obwohl sie doch angeblich bereits dort angedeutet sind (wie wir später noch sehen werden). Muß das nun als eine Hauptschwäche der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ bewertet werden?
Stephan versucht, die von mir beobachtete Konstruktion von Gen.5 in seine eigene Textentstehungsvorstellung einzubauen. Dabei möchte er die besonders häufig durch 5 teilbaren Patriarchenalter als gerundete Alter und gleichzeitig als exakte Textlängen auffassen:
„Deshalb entsprechen die Zahlen zwar genau der Anzahl der verwendeten Worte, aber nur ungefähr den tatsächlichen Jahreszahlen bzw. dem Lebensalter des Patriarchen Henoch.“ (S.9)
Um die fehlerbehafteten weil gerundeten biblischen Altersangaben zu rechtfertigen, beruft er sich auf die Chicago-Erklärung der amerikanischen Fundamentalisten:
„Die ‚Verwendung von Übertreibungen und runden Zahlen’ in der Bibel wird in der Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel (1978) ausdrücklich als Beispiel genannt, das mit dem Wahrheitsmaßstab der Schrift kompatibel ist (Artikel XIII).“ (S.9)
Einmal abgesehen davon, daß die ‚Chicago-Erklärung zur biblischen Irrtumslosigkeit’ zu Inkonsistenz und sozusagen zu Selbstentmannung neigt, auch abgesehen davon, daß mit der Akzeptanz von Rundungsfehlern das Problem der riesigen biologischen Alter nicht gelöst wird, ist hier z.B. festzustellen, daß Manfred Stephan der ‚Chicago-Erklärung zur biblischen Hermeneutik’ widerspricht. Dort heißt es nämlich in Artikel VII,
„daß die Bedeutung, die in jedem biblischen Text ausgedrückt wird, eine einzige, bestimmte und unabänderliche Bedeutung ist.“
Was er hier tut, den Zahlen zwei Bedeutungen zuzumessen (Alter und Textlänge), ‚darf’ er gar nicht tun, wenn er die Autorität der Chicago-Erklärungen anerkennt, und das ist ja sichtlich der Fall.
Schließlich diskutiert Stephan den offensichtlich nach quantitativen Kriterien konstruierten Stammbaum des Matthäusevangeliums. Dieser ist ein gutes Beispiel dafür, daß solche Stammbäume keineswegs immer als zuverlässige Information gedacht waren, wie es der spätere Leser vielleicht vermutet. Unter anderem deshalb „sind Zweifel daran begründet, dass die Genealogie in Genesis 5 eine wirkliche historische Abstammungsfolge sein will“, auch wenn Manfred Stephan das genau andersherum sieht (S.10). Und diese Relativierung wird wiederum dadurch nicht aufgehoben, daß der Stammbaum historisch wahre Elemente enthalten kann.
All das ändert nichts an der Möglichkeit, aus der wörtlich verstandenen Bibel ein geologisches Kurzzeitmodell zu ermitteln. Aber man sieht, daß diese Textauffassung keineswegs als ‚realhistorische’ Absicht der biblischen Autoren erwiesen wurde.
Zu Kapitel 3: „Enorme geologische Prozesse zwischen Sündenfall und Sintflut eine ,neue Lückentheorie’?“ (S.12)
Im letzten Abschnitt meines Artikels zur ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ hatte ich diese mit der sogenannten ‚Restitutionstheorie’ verglichen. Sie wird auch ‚Lückentheorie’ genannt, weil sie eine vermutete Lücke in einer biblischen Textaussage ausfüllt, nämlich zwischen Vers 1 und 2 des ersten Genesiskapitels. Die Vertreter der Restitutionstheorie verfrachten praktisch die komplette Historische Geologie dort hinein… und ersparen sich damit fast jeden Konflikt zwischen Geologie und Bibeltext. Die Schöpfung wird darin allerdings nicht als creatio ex nihilo, sondern als Wiederherstellung (Restitution) der Erde aufgefaßt.
Manfred Stephan hält meinen Vergleich für „irreführend“ und sein Kapitel 3, das nur eine halbe Seite lang ist, nennt dafür zwei Gründe:
„Erstens: Im Gegensatz zur Restitutionstheorie konstruiert die biblisch-urgeschichtliche Geologie keine (teilweise lange) zeitliche Lücke. Im Fall der Lückentheorie handelt es sich um ein zwischen zwei Bibelverse hineingedeutetes Postulat, während die Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut im Text selbst über mehrere Kapitel beschrieben und mit Ereignissen gefüllt ist (Genesis 4,1-6,8).“
Das ist richtig… und illustriert, daß mein Vergleich nicht irreführend ist, denn es geht um die Lücke im Text, nicht in der Zeit. Noch einmal Schritt für Schritt:
-Die immensen Energiedichten entstehen, weil von der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ keine zeitliche Lücke angenommen wird.
-Die geologischen Abläufe müssen in dem Zeitabschnitt ablaufen, der dem Text entspricht, weil der Text die Zeit von der Schöpfung bis zur Sintflut vollständig umfaßt und die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ sich hier hinein erstrecken soll.
-Der Text beschreibt aber keine Ereignisse, die den Abläufen der modernen Historischen Geologie entsprächen, wenn man diese in wenige Jahrtausende hineinquetscht, obwohl eine deutliche Erwähnung zu erwarten wäre. Diese Zeit ist nämlich im Text wohlbeschrieben, gerade auch hinsichtlich der äußeren Lebensumstände.
-Das Fehlen dieser Ereignisse im Text ist die eigentliche Lücke! Das ist bei der Bezeichnung der Restitutionstheorie als ‚Lückentheorie’ übrigens genauso gemeint.
Die Reduzierung der Betrachtung auf die zeitliche Lücke ist nur ein Ablenkungsmanöver. In seiner eigenen Kritik der Restitutionstheorie, die ich in meinem Aufsatz zitierte, hatte Manfred Stephan geschrieben:
„Einer der häufigsten Fehler in der Auslegung von Erzähltexten ist nämlich das Füllen von Lücken (sog. ‚Leerstellen’) im Text, die der Abschnitt nicht behandelt […].“13
Deutlicher kann man es wohl kaum sagen.
Nun zu seinem zweiten Grund:
„Zweitens: Es wird nicht, wie R. Heinzerling behauptet, eine (theologische) Lehre aufgestellt (und zwischen zwei Verse der Bibel platziert). Vielmehr wird lediglich versucht, geologische Ereignisse im Zeitrahmen zwischen Sündenfall und Sintflut zu verstehen. Das liegt auf einer ganz anderen Ebene; es handelt sich keineswegs um eine (theologische) Lehraussage.“
Das ist nun Wortklauberei. Ein fundamental abweichendes Textverständnis ist immer mit einer geänderten Lehrauffassung verbunden. Das ‚Auffinden’ historisch-geologischer Megakatastrophen in der Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut ist neu, also eine neue Lehraussage, und sie steht nicht im Bibeltext, sondern man vermutet in dessen Beschreibung entscheidende inhaltliche Lücken. Also ist die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ eine klassische Lückentheorie.
Zu Kapitel 4: ,, ‚Verfluchung des Erdbodens’ nicht mehr als ‚Dornen und Disteln’?“ (S.13-15)
Gleich im ersten Satz dieses Kapitels bringt Manfred Stephan das Hauptproblem auf den Punkt:
„Die entscheidende Frage ist, ob die Annahme umfangreicher geologischer Prozesse zwischen Sündenfall und Sintflut den Bibeltext vergewaltigt, oder ob es Aspekte im Text gibt, die dieses Verfahren stützen oder zumindest gestatten.“ (S.13)
Es wäre schön gewesen, wenn er das Problem tatsächlich bei den Hörnern gepackt und zu lösen versucht hätte. Stattdessen konstruiert er wiederum eine falsche Alternative und erörtert nebenbei in einem langen Exkurs die Randfrage, ob es vor der Sintflut bereits geregnet habe. Die Randfrage lassen wir hier beiseite.
Die falsche Alternative deutet sich bereits in der Kapitel-Überschrift an. Stephan faßt sie dann in folgende Sätze:
„Ist es wirklich so, dass die vorsintflutlichen Patriarchen angesichts des verfluchten Erdbodens ‚lediglich über die Dornen und Disteln auf ihren Äckern klagen?’ Die Strafworte Gottes an den Menschen mit dem Fluch über den Erdboden (Genesis 3,17-19), auf die sich Lamech bezieht, betreffen jedoch sämtliche Lebensumstände des Menschen; […] .“
und
„Das Hauptthema der Texte, die für die Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut (aber nicht mehr nach der Flut; s.u.) die Lebensminderung der Menschheit thematisieren, ist die ‚,Verfluchung des Erdbodens’ (Genesis 3,17; 5,29; vgl. 8,21). Davon wird jedes Mal gesprochen, während die ‚Dornen und Disteln’ (nur) einmal (Genesis 3,18) als Beispiel für eine konkrete Auswirkung der Verfluchung des Erdbodens genannt sind. Man kann also nicht sagen, nur ‚Dornen und Disteln’ seien das Hauptproblem der damaligen Menschheit gewesen. „(S.13)
Das kann man durchaus sagen. Die ‚Dornen und Disteln’ stehen bei mir pars pro toto für die Mühsal des Broterwerbs, der sich durch die Verfluchung des Erdbodens ergibt. Das kann man bei zusammenhängender Lektüre und Vergleich mit Gen.3,17-19 leicht erkennen. Die falsche Alternative löst sich also in Wohlgefallen auf.
Man kann allerdings nicht sagen, daß mit den „Strafworten Gottes“ und der Verfluchung des Erdbodens „sämtliche Lebensumstände des Menschen“ gemeint gewesen seien, denn sonst wird das Hervorheben der Mühsal des Arbeitens ‚im Schweißes deines Angesichts’ sinnlos. Die Dornen und Disteln zeigen für jeden Ackerbauern verständlich an, was der Text meint. Und Exegese beschäftigt sich mit dem, was der Text sagt, nicht damit, „ob es Aspekte im Text gibt, die [die Annahme einer abstrusen Extremgeologie] stützen oder zumindest gestatten.“ Die Blickrichtung dieses Auslegungsansatzes ist schon methodisch falsch.
Daß die vorflutlichen Patriarchen „lediglich über die Dornen und Disteln auf ihren Äckern klagen“ (wie ich geschrieben hatte), zeigt die unüberbrückbare Differenz zwischen der biblischen Beschreibung der bekannten Probleme eines auf Ackerbau basierenden Lebens in der Antike und den Megakatastrophen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’. Die Dornen und Disteln stellen ja ein Charakteristikum des verfluchten Erdbodens dar: Ihretwegen ist es notwendig, im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten und deshalb können sie pars pro toto für die Mühsal des Broterwerbs und damit für die Verfluchung des Erdbodens stehen. Angesichts dauernder extremer geologischer Umwälzungen verlieren sie aber diesen charakteristischen Status und ihre Erwähnung wirkt lächerlich.
Gehen wir jetzt kurz der eigentlich irreführenden Frage nach, wie es mit den besagten „Aspekte[n] im Text“ steht: Stützen oder gestatten sie die „Annahme umfangreicher geologischer Prozesse“ zwischen Sündenfall und Sintflut?
Manfred Stephan will die Verfluchung des Erdbodens (Seebass folgend) so verstehen, daß auch Hungersnöte, Heuschrecken, Überschwemmungen und Angriffe durch Feinde dazugehören (S.13). Für ihn steht fest, daß die Beschreibung der vorsintflutlichen Zeit Hinweise auf geologisch relevante Abläufe enthält: „Überschwemmungen (also geologische Ereignisse)“ (S.13). Die Formulierung „Nicht noch einmal will ich den Erdboden verfluchen um des Menschen willen“ in Gen.8,21a hält er für eine Bezeichnung der Sintflut (Anmerkung 120 S.14/15).
Nehmen wir der Einfachheit halber an, das sei im Text so gemeint und gehen davon aus, daß tatsächlich etwas zum Thema geologische Entwicklung ausgesagt werden sollte.
Dann ist es aus genau diesem Grund außerordentlich unwahrscheinlich, daß die Ereignisse der Historischen Geologie, komprimiert in ein paar Jahrtausende, in dieser Zeit stattgefunden haben. Denn es kann ja schlecht sein, daß wir von bereits vorsintflutlichen Überschwemmungen als kleinen geologischen Ereignissen erfahren - in ihrer Größenordnung vergleichbar mit Hungersnöten und Heuschreckenplagen - aber die extrem viel stärkeren geologischen Megakatastrophen keine Erwähnung finden! Gerade dann, wenn der Text, wie Manfred Stephan meint, für den Menschen wichtige geologische Ereignisse thematisiert, müßte auch die von Wort und Wissen angedachte Extremgeologie Erwähnung finden. Aber das ist, mit Ausnahme schließlich der Sintflut, nicht der Fall.
Es ist eben eine Lückentheorie: In das vom Text aufgespannte Szenario, in dem immer inhaltliche Lücken behauptet werden können, wird hineininterpretiert, was die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ benötigt, auch wenn es der Aussageabsicht des Textes zuwiderläuft.
Zu Kapitel 5: „Ein ungeklärtes geologisches Problem von vielen: Meteoriteneinschläge zwischen Sündenfall und Sintflut“ (In diesem Abschnitt betrachte ich die neue Version von Stephans Entgegnung, S.16nV-19nV)
Hier sind wir am ursprünglichen Hauptpunkt meiner Kritik angelangt. Am Ende dieses Kapitels kommt Manfred Stephan in einer Anmerkung auf die bisherige Diskussion dieses Themas zu sprechen:
„R. Heinzerling, Impaktszenario (2004), kritisiert, dass bei Wort und Wissen die Fragestellung des Impaktszenarios bisher scheinbar nicht diskutiert wird.“ (S.19nV, Anm. 166)
Meine Bemerkung dazu hatte sich zwar auf die allgemeine Diskussion im Internet bezogen, aber es ist gut, daß Stephan auf den internen Diskussionsstand bei Wort und Wissen noch einmal aufmerksam macht. Ja, es gibt bei Wort und Wissen diese Diskussion, oder zumindest gab es sie, ich habe sie ja damals durch meinem Vortrag mit vorangetrieben. Sie hat sich in meiner Abwesenheit seit 1994 auch entwickelt… allerdings im Rückwärtsgang. Doch der Reihe nach:
Das ‚ungeklärte geologische Problem’ besteht, kurz gesagt, darin, daß es schlechterdings unvorstellbar ist, daß die vorsintflutlichen Patriarchen unter dem Bombardement aller Meteoriten überlebt haben, die die Erde im Laufe ihrer Geschichte getroffen haben. Manfred Stephan versucht in diesem Kapitel, die von mir beispielhaft skizzierte Problematik abzuschwächen.
Zu diesem Zweck diskutiert er in einem Exkurs „Zu den Kraterbildungen und Massenaussterbe-Ereignissen der Erdgeschichte“ zunächst die Faktenlage. Was die Zahl der nachgewiesenen irdischen Impaktkrater angeht, kommt er anhand der Earth Impact Database zu demselben Ergebnis, das ich bereits 1994 bei Wort und Wissen vorgetragen hatte. Dann bezeichnet er meine Aussage als „erheblich übertrieben“ (S.18nV), daß in der Zeit vor der Flut durchschnittlich „alle 10 Jahre ein Komet oder Asteroid niedergegangen“ sein müßte. Aber wenn ich 5000 Jahre durch die von Stephan eruierten 500 Meteoriten teile, dann komme ich immer noch auf diese Rate. Meine Berechnung war also nicht übertrieben, sondern unter Voraussetzung der bestätigten Daten über irdische Impaktkrater erstaunlich genau. Seltsamerweise gibt er dann auch zu, daß „die Einschlagfolge so groß oder noch größer“ (S.18nV) gewesen sein könnte.
Er wendet dann ein, und dies scheint sein Hauptkritikpunkt zu sein, daß nur ein kleiner Teil dieser Impaktoren von wirklich riesigem Kaliber ist, während mittlere und kleinere Größen erheblich häufiger auftreten. Natürlich ist das so, und wer meinen Artikel gelesen hat, weiß das bereits. Aber was ändert sich dadurch fundamental?
Stephan versucht, durch Fixierung auf irdisch dokumentierte (Massen-)Aussterbeereignisse nachzuweisen, daß die Bedrohung für die Patriarchen erheblich kleiner gewesen sei, als von mir dargestellt. Mehr als 25 Mal redet er auf diesen 4 Seiten vom „Aussterben“, „Massenaussterben“ o.ä., was seinen Hintergrund vielleicht darin hat, daß ich seinerzeit in Bezug auf die großen Impaktoren von weltweiter Massenvernichtung geschrieben hatte. Ein geologisch/paläontologisch dokumentiertes Aussterben beliebiger Lebewesen ist aber keine notwendige Voraussetzung dafür, daß der massenhafte Meteoritenbeschuß für die damals lebende Menschheit eine extreme tödliche Bedrohung darstellt. Was er wohl zu zeigen versucht, ist, daß es nicht absolut zwingend ist, daß alle Patriarchen dabei ums Leben kommen mußten.
Diese Vorgehensweise ist mir aus Sitzungen von Fachgruppen bei Wort und Wissen bekannt: Man weiß sehr genau, wie unwahrscheinlich der eigene Ansatz ist, wenn man nach naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeiten fragt. Aber solange ein Argument nicht absolut zwingend zu sein scheint, hat die betroffene Schwierigkeit Anspruch auf Aufenthalt in einer der Schubladen der ungeklärten Probleme. Damit läßt sich die Verteidigung einer komplexen Theorie natürlich ad infinitum verlängern.
Aber bis hierher habe ich nur relativ nebensächliche Details der Entgegnung betrachtet. Argumentativ fatal ist die Tatsache, daß Stephan das Gesamtproblem überhaupt nicht diskutiert, das ich schon 1994 vorgetragen und 2004 wiederholt hatte.
Meine quantitative Abschätzung zur Zahl großer Impaktoren war im Haupttext meines Beitrags extrem konservativ ausgelegt, denn in jener Beispielrechnung habe ich ja nur die jetzt noch auf der Erde direkt nachweisbaren Impaktkrater zugrundegelegt. Die Impaktoren sind aber nicht nur durch Krater auf der Erde dokumentiert, sondern auch auf den anderen Planeten und dem Mond. Die Gesamtheit dieser Asteroiden und Kometen ist das Gesamtproblem, dem sich die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ zu stellen hat!
Damit führe ich kein neues Argument ein, denn darauf hatte ich bereits 1994 hingewiesen. Außerdem ist allen Geologen selbstverständlich bekannt, daß die nachgewiesenen irdischen Krater nur einen kleinen Bruchteil des Meteoritenhagels widerspiegeln, der die Erde im Laufe ihrer Geschichte getroffen hat. Stephan erwähnt dieses Problem aber noch nicht einmal, weshalb ich behaupte, daß der interne Diskussionsstand bei Wort und Wissen hinter den von 1994 zurückgefallen ist. Ich zitiere meine damalige Anmerkung deshalb noch einmal:
„Spektrum der Wissenschaft, September 1994, "Ursprung und Entwicklung des Mondes", G.J.Taylor, S.58-65(63-65). Die Abschätzungen Taylors über Meteoriteneinschläge auf der Erde anhand der Daten über die Mondoberfläche und im Rahmen seiner Vorstellung von der Mondentwicklungsgeschichte gehen über die oben angeführten Ziffern hinaus: "Auf dem Erdtrabanten gibt es 35 [Krater] mit einem Durchmesser von mehr als 300 Kilometern; ... . (Aufgrund der größeren Querschnittsfläche und Masse der Erde ist mit zwanzigmal sovielen Einschlägen zu rechnen. [35 mal 20 = 700]) Zwischen 15 und 20 dieser Materieballungen müßten dabei so groß gewesen sein, daß sie riesige Becken von mehr als 2500 Kilometern Größe aushoben." (Gemeint ist: auf der Erde.) Hierbei sind, i. U. zum Text oben, nur sehr große Krater berücksichtigt. Die Gesamtzahl von Kratern vergleichbarer Größe liegt dementsprechend höher.“14
Eine weitere Veröffentlichung sei zitiert, um die Zuverlässigkeit der Größenordnungen bei der Abschätzung der Kratergrößen und Impaktraten darzutun:
“Even the largest and oldest known terrestrial impact structures (Sudbury (Canada) and Vredefort (South Africa)) are only about 2 b.y. old and were only about 200300 km in diameter when they formed. They are therefore both small and young by comparison with the earlier history of impact events in the solar system. Preserved impact features on the Moon, Mercury, and other planets exceed 1000 km in diameter and are >4 b.y. old, and the ancient and heavily cratered surfaces of the Moon and other planets show that this period was a time of intense bombardment, when impact rates were hundreds to thousands of times the present low values […].”
[…]
“The evidence from other planets leaves no doubt that large impacts on Earth were not only a major, but in fact the dominant, process during early geologic time ( > 3.8 Ga). Comparisons with the lunar highlands […] suggest that as many as 200 impact basins > 1000 km in diameter may have formed on Earth during this period, accompanied by exponentially larger quantities of smaller structures. Plausible geological effects of these catastrophes include the formation of huge volumes of impact melts, the triggering of widespread endogenic volcanism from beneath a thin Archean crust, and the creation of early continental nuclei […]. The effects above ground could be equally disastrous. Large impacts could blast away existing atmospheres and then replace them with water and other volatiles carried in the projectiles themselves.” 15
Nach diesen Abschätzungen ist davon auszugehen, daß in den besagten 5000 Jahren hunderte von Impaktoren herabstürzten, die Krater hinterließen von 300km bis zu weit über 1000km Durchmesser. Hinzu kommen natürlich tausende kleinere Impaktoren. Nur ein geringer Teil der Krater ist heute noch auf der Erde nachweisbar. Das bedeutet, die Patriarchen durften sich eines Meteoritenbeschusses erfreuen, der weit über das hinausgeht, was anhand der irdisch dokumentierten Krater als absolutes Minimum zugrundezulegen ist. Wer ca. 1000 Jahre alt wurde, hatte die Chance 700/5=140 Krater der Kategorie 300km oder größer entstehen zu sehen. Kleinere Ereignisse, wie den Kreide/Tertiär-Impakt, sind hierin gar nicht eingerechnet, die lassen sich unter ‚ferner liefen’ subsummieren.
Sind diese naturwissenschaftlichen Abschätzungen für die Geologen von Wort und Wissen indiskutabel oder warum schweigt Stephan dazu? Wenn er phantastische Argumente zur Hand hat, die das Problem wunderbarerweise wegerklären: Warum nennt er sie nicht? Wo haben sich die Patriarchen denn aufgehalten, als dies geschah? Sind die Asteroiden und Kometen vielleicht kurz vor der Erde abgebogen, während sie das beim Mond und den anderen Planeten nicht taten? Was sagt denn der Essay der Earth Impact Database, den Manfred Stephan als Beleg heranzieht (S.16nV Anm. 129)? In der ‚Introduction’ heißt es am Anfang:
"Until recently, impacts by extraterrestrial bodies were regarded as an interesting but, perhaps, not an important phenomenon in the spectrum of geological process affecting the Earth. Our concept of the importance of impact processes, however, has been changed radically through planetary exploration, which has shown that virtually all planetary surfaces are cratered from the impact of interplanetary bodies. It is now clear from planetary bodies that have retained portions of their earliest surfaces that impact was a dominant geologic process throughout the early solar system. For example, the oldest lunar surfaces are literally saturated with impact craters, produced by an intense bombardment which lasted from 4.6 to approximately 3.9 billion years ago, at least a 100 times higher than the present impact flux. The Earth, as part of the solar system, experienced the same bombardment as the other planetary bodies."16
Das heißt, die anderen Planeten einschließlich des Mondes unterlagen einem mindestens 100fach stärkeren Bombardement mit zum Teil weit größeren Impaktoren, als in jüngerer Vergangenheit je zu registrieren war… und das unter Voraussetzung von Zeitspannen, die Jahrmilliarden umfassen. Was passiert, wenn man diesen Meteoritenhagel in 5000 Jahren auf die Erde schüttet?
Wir brauchen uns auch nicht zu wundern, daß die meisten dieser Krater gar nicht mehr zu sehen sind, denn:
"Most of the terrestrial impact craters that ever formed, however, have been obliterated by other terrestrial geological processes. Some examples, however remain. To-date, over 160 impact craters have been identified on Earth. Almost all known craters have been recognized since 1950 and several new structures are found each year."17
Die zur Zeit 172 nachgewiesenen Impaktkrater sind nur einige wenige von den vielen, die im Lauf der Erdgeschichte entstanden sein müssen. Ein Blick mit dem Fernglas auf den Vollmond führt uns vor Augen, was gemeint ist. Der Mond kreist ja gleichsam wie ein Probekörper um die Erde und seine Oberfläche hat in einer ‚Langzeitaufnahme’ ein Kraterpanorama registriert, das auf der Erdoberfläche durch Erosions- und Sedimentionsprozesse weitgehend gelöscht wurde.
Es ist darum völlig verfehlt, für eine realistischen Abschätzung nur die irdisch nachweisbaren Krater seit dem Kambrium zu betrachten. Schon um sich selbst nicht zu betrügen sollte sich Manfred Stephan eigentlich zur Aufgabe gemacht haben, eine Abschätzung des Gesamtproblems durchzuführen. Stattdessen versucht er, die Situation zu retten, indem er zunächst zugibt, daß zu den (z.Zt.) nachgewiesenen 172 Kratern noch die Einschläge in den Ozeanen hinzuzurechnen seien. Selbst diese läßt er aber bei seiner länglichen Einzelanalyse im Exkurs einfach wieder beiseite. Und er geht sogar noch einen datenmanipulativen Schritt weiter:
„Der 6. Krater dieser Größenordnung gehört nach Earth Impact Database ins Jung-Proterozoikum. Er bleibt hier außer Betracht, ebenso die beiden größten Krater überhaupt (Alt-Proterozoikum; vgl. Exkurs). Denn es bedürfte einer ausführlicheren Erörterung (die hier zu weit führen würde) und hat spekulative Aspekte, ob und wieweit Impakte im Präkambrium mit Aussterbeereignissen im Zusammenhang stehen (könnten).“ (S.18nV, Anm. 154)
Stephan scheint tatsächlich zu glauben, daß Meteoriten, die im Rahmen der Historischen Geologie kein „Aussterbeereignis“ auslösen konnten, weil vermutlich noch keine Lebewesen da waren, dies auch im Rahmen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ nicht konnten. Aber das ist ja gerade der Clou an der ganzen Angelegenheit! Alle großen Impaktoren müssen in den ersten 5000 Jahren heruntergekommen sein… und während der gesamten Zeit von der Schöpfung bis zur Sintflut müssen hier unten die Patriarchen herumgelaufen sein.
Falls hierzu tatsächlich ein Buch geschrieben werden sollte, bin ich doch sehr gespannt, wie dieses Problem angegangen wird.
Eine entscheidende Abschwächung der letalen Energiedichten ist durch die Abkehr von der ‚Sintflutgeologie’ jedenfalls nicht erreicht worden.
Nehmen wir nun einmal das beliebig Unwahrscheinliche an, die Patriarchen hätten das höllische Gemetzel überlebt. Da sie zumeist knapp tausend Jahre alt wurden, müßte jeder von ihnen hunderte Impaktkatastrophen erlebt haben. Da sie ihre Nachkommen typisch im Alter zwischen 50 und 200 Jahren bekamen, hatten sie ausgiebig Gelegenheit, darüber zu kommunizieren. (Das gilt unabhängig von der Frage, ob in ihrem Stammbaum ein paar Generationen fehlen.) Damit wären wir bei den kulturgeschichtlichen Belegen, nach denen ich gefragt hatte, nämlich z.B. die Überlieferung der Berichte über die damaligen Lebensverhältnisse. Eine Überlieferung des Impaktszenarios existiert aber nicht. Die ‚Berichte’ sind sicherlich als völlig irrelevant verschütt’ gegangen. ;-)
Nun noch einmal zurück zu Anmerkung 166 (S.19nV). Stephan schreibt:
„Wer von der Physik herkommt, dem erscheinen die mit enormen Energien einhergehenden Impakte brisanter als andere geologische Probleme; das dürfte jedoch teilweise auf einer Täuschung beruhen.“
Das gefällt mir, denn es ist humorverdächtig. :-) Es ist viel zu wenig Humor in dieser Debatte. Wenn man die grotesken Proportionen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ sieht, wird dann auch mal gelacht? Das kann sehr befreiend sein! :-D
Aber man sollte die Physiker auch nicht leichtfertig unterschätzen. Wenn sie ein Problem anhand von Beispielen (irdisch nachweisbare Impaktkrater) sauber darstellen, heißt das nicht unbedingt, daß ihr Vorrat an Belegen damit erschöpft sei, schon gar nicht, wenn sie explizit auf einen ganzen Stapel von Belegen hinweisen.
Zu Kapitel 6: „ ‚Sintflutartige Ereignisse bereits vor der Sintflut’? Oder: Worin besteht die Einzigartigkeit der Flut?“ (S.19-20)
Das Kapitel beginnt mit der Frage:
„Wenn man annimmt, dass sich viele Impakte zwischen Sündenfall und Sintflut ereigneten, bedeutet das nicht: Es gab viele sintflutartige Ereignisse bereits vor der Sintflut?“ (S.19)
Natürlich ist das so. Auch Stephan selbst benutzt die Formulierung „sintflutartig“ in Anmerkung 120 (S.15), und zwar völlig zu Recht. Andererseits ist das für ihn problematisch, weil damit die Einzigartigkeit der Sintflutkatastrophe in Frage steht, die in der Bibel behauptet wird.
Stephan versucht deshalb, die Einzigartigkeit der Sintflut so zu definieren, daß ein wesentlicher Unterschied zu den anderen Katastrophen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ bleibt. Es ist erforderlich, seine Beschreibung dieses Unterschieds mit einem längeren Zitat wiederzugeben:
„In diesem Zusammenhang ist es der Tatbestand, dass in [der Sintflut] sämtliche luftatmenden Landtiere und Menschen umgekommen sind, die nicht in der Arche geborgen waren (Genesis 6,7.13.17; 7,18-24). Und genau dies war selbst bei den wie heute angenommen wird größten Aussterbeereignissen der Erdgeschichte nicht gegeben. Weder an der Perm/Trias-Grenze, noch an der Kreide/Tertiär-Grenze kam es zum Aussterben aller Tiere, die zuvor fossil belegt sind. Z.B. betrug nach Kürschner & Visscher die Aussterberate beim größten aller Katastrophen (Perm/Trias-Grenze) 90% der marinen Lebewelt und 70 bzw. 80% aller Amphibien- bzw. Reptilienfamilien, und an der Kreide/Tertiär-Grenze mit dem wohl größten der bestuntersuchten Meteoriteneinschläge lag die Aussterberate nach einer Tabelle bei Tollmann & Tollmann bei ca. 63% aller Arten.“ (S.19)
Es kommt also auf den Prozentsatz an! Denn weder in der Sintflut, noch in den anderen beschriebenen Katastrophen kommen tatsächlich „sämtliche luftatmenden Landtiere und Menschen“ um. Aber der Prozentsatz war bei der Sintflut deutlich höher, sprich: wenn nur 60 bis 90% aller Lebewesen auf Erden dahingemetzelt werden, ist das noch kein Grund, dieses Ereignis ernsthaft mit der Sintflut zu vergleichen.
So eine Definition muß man zynisch nennen. Und das soeben noch von mir erhoffte Gelächter über die grotesken Proportionen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ bleibt mir im Halse stecken. Stephan schreibt:
„Als einzige Katastrophe hat gemäß der biblischen Urgeschichte jedoch nur die Sintflut die gesamte Menschheit und alle luftatmenden Landtiere ausgelöscht das ist etwas qualitativ anderes.“ (S.19)
Daß „die gesamte Menschheit und alle luftatmenden Landtiere ausgelöscht“ wurden, ist falsch, weil von allen Arten mindestens je 1 Paar in der Arche überlebte, um sich nach der Flut wieder auszubreiten. Das weiß Manfred Stephan natürlich. Warum er trotzdem so argumentiert, ist mir schleierhaft. Die Sintflut ist also nicht qualitativ, sondern nur quantitativ anders.
Es fällt mir schwer, das zu kommentieren, ohne selbst ins Zynische abzugleiten. Ich persönlich kann auf diesen ‚qualitativen’ Standard göttlicher Gerichte gut verzichten. Müssen wir jetzt annehmen, daß das unaufhörliche Quälen und Meucheln der Kreatur, schuldhaft verursacht durch das wörtlich zu verstehende Essen einer verbotenen Frucht, eine Art Supergemeinheit Gottes war, der dem vertriebenen Menschen den Auftrag gab, diesen Erdboden zu bebauen und den Tieren zumutete, in dieser Welt zu krepieren? Die Sintflutgeschichte ist schon monströs und paradox genug. Ich hätte nicht gedacht, daß die Studiengemeinschaft einmal ernsthaft daran arbeiten würde, diese Szenerie des Grauens auf die vorsintflutlichen Jahrtausende auszudehnen.
Zu Kapitel 7: „Überleben von Menschen in unbekannten Lebensräumen ‚ein Kunstgriff’?“ (S.21-25)
In meinem ersten Aufsatz zur ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ hatte ich Stephans Kunstgriff kritisiert, das Überleben der Patriarchen "in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen" anzunehmen, wie sie in der Paläontologie diskutiert werden. In diesem Kapitel geht er darauf ein. Der einleitende Satz lautet:
„Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass in einem geologischen Kurzzeitverständnis der Erdgeschichte die physikalischen Probleme angesichts der zahlreichen, ziemlich rasch aufeinander folgenden Meteoriteneinschläge viel gravierender sind als im Zeitrahmen der Historischen Geologie.“ (S.25)
Bedauerlicherweise steht dieser Satz aber am Ende des Kapitels! Die riesigen Probleme, die sich im Zusammenhang mit Stephans Kunstgriff ergeben, werden so gut wie gar nicht angegangen.
Der größte Teil beschäftigt sich damit, zu belegen, daß geologisch nicht überlieferte Lebensräume eine gesicherte Erkenntnis der Paläontologie sind. Das hatte aber niemand bestritten.
Beschäftigen wir uns zunächst mit dem geophysikalischen Aspekt dieser Lebensräume. Meine Anfrage, wo und wie die Patriarchen denn den Dauerbeschuß durch Meteoriten überstanden haben sollen, beantwortet Stephan mit Hinweis auf die Beobachtungen zur Perm/Trias-Grenze (Exkurs S.23-24). Danach betont er noch einmal, daß das Überleben sehr vieler Tiergruppen gesichert sei. Auch die Zeiträume, die hier zu betrachten sind, nennt er deutlich, z.B.:
„Für diese Zeitspanne nimmt die Historische Geologie 9-10 Millionen Jahre an. Dann tauchte ca. die Hälfte der verschwundenen Tiergruppen unerwarteterweise wieder auf.“ (S.24)
Aber damit beginnt ja erst das Problem! In der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ stehen ja gar keine 10 Millionen Jahre zur Verfügung, sondern höchstens typisch 10 Jahre bis zum Einschlag des nächsten riesigen Impaktors. Dieses Problem wird trotz Nennung der Zeitspannen von Stephan nicht weiter thematisiert, d.h. er läßt die Zeit-Reskalierung von 1.000.000 : 1 einfach unter den Tisch fallen (von dem letzten Satz des Kapitels abgesehen).
Wie wirkt sich dieser Faktor aus? Wie stellt Stephan sich die weltweite Regeneration der Tierbestände in 10 Jahren vor, und das mehrfach hintereinander? Wie paßt hier die Kontinentalverschiebung hinein, ebenfalls extrem beschleunigt in ein paar Jahrtausenden? Auf meine kleine Beispielrechnung geht er nicht ein. Ich würde erwarten, daß zahlreiche Abschätzungen dieser und besserer Art bei Überlegungen zur ‚Machbarkeit’ einer solchen Extremgeologie an erster Stelle stehen. Aber so kann man sich irren.
Mit dem Lückenbüßergott, der durch wunderhaftes Eingreifen das Überleben der Menschen sichert, will Stephan nicht argumentieren, weil das unsachgemäß sei und in der Urgeschichte darüber nichts mitgeteilt werde (S.23). Aber er will ihn auch nicht ausschließen, so daß die Existenz seiner Hypothese bis auf weiteres gesichert scheint.
Bevor diese Fragen nicht geklärt sind, bleibt der Rückgriff auf die geologisch nicht überlieferten Lebensräume im Rahmen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ ein Kunstgriff, und das ist noch freundlich ausgedrückt.
Nun zum biblischen Aspekt der geologisch nicht überlieferten Lebensräume (S.23). Ich hatte darauf aufmerksam gemacht, daß das Thema ‚Schutz des Menschen’, das mit Stephans Formulierung von den „bestimmten relativ geschützten“ Gebieten angesprochen ist, auch in der Urgeschichte mehrfach angesprochen wird. Dort ist aber keine Rede vom Schutz vor geologischen Katastrophen. Das sollte jedoch der Fall sein, wenn so immense geologische Umwälzungen stattgefunden hätten, wie behauptet. Das Fehlen solcher Aussagen spricht gegen die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’. Das scheint Manfred Stephan auch einzusehen, denn er argumentiert gegen das Vorkommen des Themas ‚Schutz’.
Das ist aber verblüffend, denn hier gilt dasselbe Argument, wie zu Kapitel 4 (s.o.). Wenn dort das Thema ‚geologische Ereignisse’ angesprochen wird, dann sollten auch die geologischen Katastrophen Erwähnung finden, was aber nicht der Fall ist. Dort argumeniert Stephan aber für das Vorkommen des Themas.
Seine Argumentation scheint noch nicht wirklich durchdacht zu sein. Er steckt in einer exegetischen Zwickmühle. Einerseits hätte er gerne, daß die Themen ‚geologische Ereignisse’ und ‚Schutz des Menschen’ angesprochen wurden, um überhaupt einen Anhaltspunkt dafür im Text zu finden. Andererseits möchte er, daß sie nicht angesprochen wurden, denn die vorhandenen Aussagen zeigen, daß der angedachte Katastrophismus gar keine Erwähnung findet.
Nebenbei: Es gibt in der Bibel tatsächlich Texte, die die vermuteten Katastrophen recht brauchbar skizzieren. Aber sie stehen nicht am Anfang, sondern am Ende der Bibel, nämlich in der Apokalypse, z.B. Kap.6,12-17; 8,7-12;usw..
Stephans Argumente gegen die Erwähnung des Themas ‚Schutz des Menschen’ sind teils schwach, teils falsch (S.23). Er nennt meine Beispiele „heterogen“ und sie seien als „Gegenargumente“ kaum geeignet. Gerade die Heterogenität zeigt aber, daß dieses Thema zu den Grundgedanken der Urgeschichte gehört. Er meint, bei Kains Städtebau könne nicht an seinen Schutz gedacht werden. Der Schutz des Menschen ist aber immer ein Hauptgrund für die Gründung von Städten. Und es ist für meine Behauptung, es sei in der Urgeschichte vom Schutz des Menschen die Rede, völlig unerheblich, wer für wen eine Stadt baute, solange es nur vor der Sintflut geschah.
Weitere Argumente hierzu erspare ich mir, das Prinzip ist klar. Der Rekurs auf ein ‚Überleben von Menschen in unbekannten Lebensräumen’ im Rahmen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ ist ein Kunstgriff. Er ist nicht zu rechtfertigen durch Übergehen der eigentlichen Probleme, Verteidigung des nicht Bestrittenen und paradoxe Argumentation.
Zu Kapitel 8: „Meteoriteneinschläge und das literarische Konzept der Urgeschichte ‚absurd’?“ (S.26-29)
Natürlich geht es nicht nur um Meteoriteneinschläge, obwohl deren Betrachtung allein schon die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ in Trümmer legen sollte. Ich hatte geschrieben:
„Das gesamte literarische Konzept der biblischen Urgeschichte wird ad absurdum geführt, wenn man die katastrophalen geologischen Prozesse, die von früheren Auslegern sinnvollerweise der Sintflut zugeordnet wurden, jetzt großenteils in die Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut verlegt.“
Manfred Stephan will zeigen, daß das literarische Konzept der biblischen Urgeschichte auch für diese Katastrophen einen Platz vorsieht. Er will sie in die inhaltlichen Lücken hineininterpretieren, die die Urgeschichte mit ihrem Nichterwähnen gelassen hat:
„Aus der Nichterwähnung anderer Katastrophen in der Urgeschichte kann nicht abgeleitet werden, es habe in ihrem Horizont keine anderen gewaltigen geologischen Abläufe und Aussterbeereignisse geben können.“ (S.26)
Er gesteht zu, daß die ‚Konzentration’der Urgeschichte auf die eine Sintflutkatastrophe „aus unserer Sicht von Geschichtsschreibung seltsam anmutet“ (S.26). Aber er kennt den Grund für diese Beschränkung (vgl. Kap.6 oben):
„[…] wohl deshalb, weil nur hier durch Gottes zuvor angekündigtes Gerichtshandeln alle Menschen und luftatmenden Landlebewesen umkamen […].“ (S.26) [Betonung M.S.]
Zu dem oben genannten zynischen Prozentsatz-Argument gesellt sich hier die ebenso zynische Feststellung, daß die Sintflut ja zuvor angekündigt wurde und deshalb die einzig erwähnenswerte Massenvernichtung gewesen sei. Woher er weiß, daß die anderen Katastrophen von Gott nicht angekündigt wurden, obwohl sie in der Urgeschichte nicht beschrieben werden, verrät Stephan allerdings nicht.
(Hier scheint mir die Zwischenbemerkung angebracht, daß ich Manfred Stephan trotzdem keineswegs für einen Zyniker halte. :-) Die besagten Zynismen sind eher theoretischer Natur und können m.E. jedem unterlaufen, der sich dauernd unter Spezialaspekten mit der Deutung historischer Vorgänge befaßt. Allerdings deuten sie an, daß der Blickwinkel auf die betrachtete Sache gefährlich verengt ist.)
Im Folgenden arbeitet er den grundlegend anderen Charakter der biblischen Urgeschichtsvorstellung heraus, den sie bekanntlich im Vergleich mit entsprechenden Texten der umliegenden Völker besitzt. Aus den Unterschieden ermittelt er vier Gründe, warum Mose die Traditionen anderer Völker über verschiedene (wiederkehrende) Weltbrände und –überflutungen nicht in die biblische Urgeschichte übernommen habe. Schon Celsus habe diese Nichtberücksichtigung der anderen Traditionen kritisiert und es sei anzunehmen, daß Mose sie absichtlich nicht erwähnte.
„Man könnte von einer theozentrischen Konzeption sprechen, d.h., nur der Sintflutbericht wurde in die Urgeschichte aufgenommen, weil nur hier Gottes ausdrückliches Gerichtshandeln im Mittelpunkt steht.“ (S.28) [Betonung M.S.]
„Wir können sicher sein, dass der biblische Autor hier sehr bewusst etwas für uns heutige wesentliches weggelassen hat, und wir können mutmaßlich auch sagen, warum (s.o.).“ (S.28) [Betonung von mir.]
Woher er diese Sicherheit nimmt, ist mir nicht klar geworden. Aber Mutmaßungen über literarische Motive eines antiken Autors bei der Auswahl seiner Stoffe helfen uns sowieso nicht weiter angesichts der phantastischen Behauptungen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’.
Es geht nämlich in meiner Kritik überhaupt nicht um alte literarische Traditionen anderer Völker! Genausowenig ist es erheblich, warum Mose (oder wer auch immer) die Fluttraditionen anderer Völker nicht wiedergegeben hat.
Es geht um die moderne Historische Geologie, deren naturwissenschaftliche Erkenntnisse den Alten gar nicht zur Verfügung standen. Alle von der Historischen Geologie erkannten Vorgänge, die mehr als ca. 5.000 Jahre zurückliegen und einen Zeitraum von vielen Hunderten Millionen Jahren beanspruchten, will die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ in wenige Jahrtausende hineinpressen, und zwar parallel zur biblischen Urgeschichte. Um dieses Problem geht es.
Schließlich will Stephan das Fehlen der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ mit dem Fehlen anderer wichtiger Themen in der biblischen Urgeschichte motivieren:
„Hinzu kommt, dass diese inhaltliche ‚Fehlanzeige’ nicht alleine steht. Ein weiteres auffälliges theologisches Thema, das erstaunlicherweise in der Urgeschichte nicht thematisiert wird, ist das Aufkommen der Götterverehrung.“ (S.28)
In der Tat, darüber wird in der Urgeschichte nichts berichtet. Abgesehen davon, daß man aus diesem Schweigen an sich nichts schließen kann, ist dieses Argument falsch. Über das Thema ‚geologische Katastrophen’ wird in der Urgeschichte durchaus referiert, nämlich über die Sintflut! Und über die Zeit davor werden die äußeren Lebensumstände berichtet, ja sogar geologisch relevante Ereignisse findet man dort, wie Manfred Stephan selbst betont (siehe auch nächstes Kapitel).
Aber der Katastrophismus der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ findet sich dort nicht. Durch die Behauptung, er habe dort seinen Platz, wird das literarische Konzept der biblischen Urgeschichte ad absurdum geführt, denn die Ankündigung und Durchführung der Sintflut als singuläres göttliches Gericht ist vor diesem Hintergrund Nonsense.
Zu Kapitel 9: ,, ‚Paradiesgeographie’ deutlicher Hinweis auf umfangreiche geologische Prozesse zur Zeit der Urgeschichte“ (S.30-31)
Manfred Stephan schreibt:
„Abschließend sei auf einen Text der Urgeschichte hingewiesen, der eindeutig umfangreiche geologische Veränderungen eines ausgedehnten geographischen Areals impliziert und dennoch oft übersehenen wird. Es ist die ziemlich detaillierte ‚Paradiesgeographie’ (Genesis 2,10-14).“ (S.30)
In den folgenden fünf Versen von Gen.2 findet Stephan also einen deutlichen Hinweis auf „umfangreiche geologische Prozesse“ vor der Sintflut:
„(10) Und ein Strom geht von Eden aus, den Garten zu bewässern; und von dort aus teilt er sich und wird zu vier Armen. (11) Der Name des ersten ist Pischon; der fließt um das ganze Land Hawila, wo das Gold ist; (12) und das Gold dieses Landes ist gut; dort [gibt es] Bedolach-Harz und den Schoham-Stein. (13) Und der Name des zweiten Flusses ist Gihon; der fließt um das ganze Land Kusch. (14) Und der Name des dritten Flusses ist Hiddekel; der fließt gegenüber von Assur. Und der vierte Fluß, das ist der Euphrat.“ (REÜ)
Hier steht nichts von umfangreichen geologischen Prozessen, aber der Abschnitt soll diese Prozesse deutlich implizieren, wenn man ihn „naturhistorisch ernst nimmt“.
Zumindest die Flüsse Hiddekel (Tigris) und Euphrat seien mit den heutigen Flüssen dieses Namens zu identifizieren und deren heutige Oberläufe unterscheiden sich von den in Gen.2 beschriebenen erheblich. Also muß sich die Geographie in der nachparadiesischen Zeit deutlich geändert haben und das könne nur durch Annahme enormer geologischer Ereignisse verstanden werden:
„Wenn man also den Text naturhistorisch ernst nimmt, können die gefalteten Schichtfolgen der Hochgebirgszüge nur nach der Zeit des Paradieses entstanden und zu Gebirgen herausgehoben worden sein (später, zu den Zeiten vorgeschichtlicher und geschichtlicher Kulturfunde, verliefen die Flussnetze bereits wie heute). Begründung: Anderenfalls müsste der Ursprungsstrom, von dem die vier Flüsse einst abzweigten, über die heutigen Hochgebirgs-Wasserscheiden, z.B. des Ost-Taurusgebirges (Gipfel z.T. über 3500 m hoch), geflossen sein (!).“ (S.30)
Das ist nicht richtig. Beispielsweise könnte man den Ursprungsstrom ad hoc am Ort des Quellsees Hazar Gölü des heutigen Tigris vermuten. Der Euphrat fließt in nur ca. 20km Entfernung erheblich tiefer vorbei. Aus diesem See bzw. an ähnlicher Stelle könnten vor langer Zeit einmal vier Flüsse ihren Ausgang genommen haben, die durch damals bekannte Länder mit den in der Genesis genannten Namen flossen. Der heutige Euphratdurchbruch durch das Taurusgebirge kann später entstanden sein (vielleicht im Zusammenhang mit der Sintflut ;-) ). Dabei wurde diese Geographie inklusive dem von Anfang an vorhandenen Hochgebirge u.a. durch langweilige Erosion auf ihren heutigen Stand geändert. So gesehen würde eine sehr geringe geologische Änderung genügen – gemessen am Maßstab der in fünf Jahrtausende gequetschten Historischen Geologie – um vier Flüsse schlicht zum Versiegen zu bringen (Pischon und Gihon), zu verlängern (Euphrat) oder nur geringfügig zu verändern (Tigris).
Nehmen wir aber einmal versuchsweise an, das Hochgebirge des Osttaurus wäre zwischen Sündenfall und Sintflut entstanden, um den für meine Kritik scheinbar schwierigsten Fall zu betrachten. Dann gilt mein Argument gegen die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ trotzdem uneingeschränkt! Es steht nämlich immer noch nichts über die vielbesagten Megakatastrophen im Text. Sie können nur zu einem winzigen Teil durch eine geologische Betrachtungsweise gefolgert werden, indem man a) eine historisch-realistische Bedeutung des Textes voraussetzt und b) auf Informationen zurückgreift, die nicht in der Urgeschichte stehen. Als Resultat seines Inputs erhält Stephan die Umgestaltung eines „ausgedehnten geographischen Areals“.
Dieses Areal macht ungefähr ein Tausendstel der Landoberfläche der Erde aus und seine Veränderung kann nicht sicher der Zeit vor der Sintflut zugeordnet werden (S.31). Wenn Stephans Überlegung stimmen würde, ergäbe sich immerhin eine beträchtliche lokale geologische Veränderung nach der Zeit des Paradieses.
Betrachten wir aber noch einmal Schritt für Schritt die Vorgehensweise. Ein geographischer Urzustand war dem Autor des Textes offenbar vor Augen, denn er wird in Gen.2,10-14 beschrieben. Ein extrem-katastrophischer geologischer Übergang in den uns heute bekannten Zustand wird im Text nirgends angesprochen, wie oben im Zitat zu sehen. Auch in der übrigen Urgeschichte gibt es keinen einzigen konkreten Hinweis auf später geänderte Flußläufe. Stephans Schlußfolgerung muß auf geographische Informationen aufgesetzt werden, die nicht aus der Urgeschichte stammen. Das kann man natürlich tun, aber man sollte dann nicht dem Fehlschluß verfallen, dadurch eine Aussage der Bibel ermittelt zu haben!
Was wir hier sehen, ist das Füllen der inhaltliche Lücke durch die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’, sozusagen die Lückentheorie in Aktion. Der Bibeltext selbst kennt diese Extremgeologie nicht.
Der Textbefund muß natürlich genau umgekehrt bewertet werden. Die geographische Beschreibung deutet an, daß der Autor am Thema Geographie interessiert war. Wenn man so weit geht, das als geologische Information gelten zu lassen, dann paßt das zu seinem ausgeprägten Interesse an der Sintflut und den zuvor diskutierten Aspekten der ‚geologischen Ereignisse’ und ‚Schutz des Menschen’ in der Zeit vor der Sintflut. Und damit wird es noch unverständlicher, warum kein wirklich deutlicher Hinweis auf die Extremgeologie der Studiengemeinschaft vorhanden ist. Mindestens eine kurze aber explizite Beschreibung sollte in der biblischen Urgeschichte zu finden sein, vielleicht ähnlich den genannten Abschnitten in der Apokalypse des Johannes. Denn die ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ stellt alles in den Schatten, was an göttlichen Massenvernichtungsgreueln in der Bibel für die Vergangenheit je behauptet wurde.
Stephans geologisches Argument, warum die Hochgebirgszüge im Quellgebiet von Euphrat und Tigris erst nach der Zeit des Paradieses entstanden sein können, ist nicht zwingend. So gewinnt sein theologisches Argument, das er nur in eine Fußnote gepackt hat, ganz erheblich an Bedeutung:
„Zu diesem Schluss führt auch ein theologisch noch bedeutsamerer heilsgeschichtlicher Befund. Wie hier nicht näher begründet werden kann, setzt der physische (körperliche) Tod der Tierwelt den Sündenfall der ersten Menschen voraus (der klassische Bibeltext ist Römer 8,19-22) […]; das gilt dann natürlich auch für die fossile Fauna. Der o.g. Faltengebirgsgürtel der Türkei, Armeniens usw. besteht nun aber z.T. aus fossilführenden Sedimentgesteinen […]. Im Rahmen der biblischen Urgeschichte können diese Schichtfolgen also erst nach dem Sündenfall abgelagert worden sein (diese Thematik soll in einer eigenen Publikation behandelt werden).“ (Anm. 250 S.30)
Nicht nur die Ankündigung einer eigenen Publikation belegt, daß dieses Thema von erheblicher Bedeutung für die Arbeit von Wort und Wissen ist.
Die These vom Paradies als einem Ort und einer Zeit ohne Leid und Tod taucht in vielen Publikationen von Wort und Wissen auf. Sie zählt praktisch zu den dogmatischen Grundlagen des Kurzzeitkreationismus, wie er von der Studiengemeinschaft vertreten wird, und es lohnt sich, sie hier in einem Exkurs zu behandeln.
Exkurs zur ‚Paradiesphysik’: Das Levitationsproblem
In zahlreichen Publikationen von Wort und Wissen wird immer wieder betont, daß „aus biblischer Sicht“ zur Zeit des Paradieses weder Leid noch Tod herrschten. Diese Feststellung betreffe nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere.
Zur Begründung und zur ‚Ermöglichung des Verständnisses’ sind auf www.genesisnet.info erstaunlich viele Artikel zu finden. Folgende Auflistung einiger Titel mag einen Eindruck vermitteln, wie stark das Erklärungsbedürfnis an dieser Stelle ist:
-Betraf laut der Bibel der Tod als Folge der Sünde auch die Tiere?, Reinhard Junker, 11.02.2004
-Die Bindung der Erdgeschichte an den Sündenfall des Menschen, Manfred Stephan, 09.04.2004
-Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament, Reinhard Junker, 14.06.2004
-Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen, Reinhard Junker, 17.05.2004
-Todesstrukturen in der Schöpfung, Reinhard Junker, 17.05.2004
-Modell für einen Umbruch in der Schöpfung, Reinhard Junker, 16.04.2004
-Das Theodizee-Problem, Reinhard Junker, 17.05.2004
-Die biblische Urgeschichte - wirkliche Geschichte, Manfred Stephan, 20.03.2004
-Kann mit dem Tod, der durch die Sünde in die Welt kam, der "geistliche Tod" gemeint sein?, Reinhard Junker, 04.08.2004
-Ist eine paradisische Welt ohne den Tod überhaupt ökologisch möglich?, Reinhard Junker, 28.06.2004
-Ist eine ursprüngliche Schöpfung ohne Tod überhaupt denkbar, da es doch eine Überbevölkerung geben würde?, Reinhard Junker, 12.04.2005
-Jesus aß Fleisch, und: "Das Weizenkorn muss sterben" – Gehört das Sterben nicht doch zur guten Schöpfung?, Reinhard Junker, 12.04.2005
Sind Krankheit, Leid und Tod notwendig, damit vor ihrem Hintergrund das Gute erkennbar ist?, Reinhard Junker, 11.02.2004
Die Vorstellung einer Schöpfung, in der es ursprünglich keinen Tod gibt, aber trotzdem alle Lebewesen zur fleißigen Fortpflanzung aufgefordert sind („füllet die Erde“, Gen.1), ist gelegentlich kritisiert worden, zum Beispiel mit dem Argument einer unausweichlichen Überbevölkerung. Reinhard Junker antwortet darauf in dem Artikel „Ist eine ursprüngliche Schöpfung ohne Tod überhaupt denkbar, da es doch eine Überbevölkerung geben würde?“:
„Wir wissen nun aber nicht, welchen Weg Gott mit seiner Schöpfung gegangen wäre, wenn dieser Auftrag erfüllt gewesen wäre. Gott hätte Möglichkeiten gehabt, den Kollaps zu verhindern, der durch eine Überfüllung eingetreten wäre. Allerdings; Wir können dazu nichts Konkretes sagen. Die Frage ‚was wäre, wenn...’ ist unbeantwortbar, da sie zu viele Unbekannte beinhaltet.“ 18
Es mag sein, daß diese Frage aus seiner Sicht nicht beantwortet werden kann. An anderer Stelle findet er aber durchaus Antworten, wenn es um Spekulationen über die Möglichkeiten schmerzfreien Gebärens oder Abwesenheit von Todesgefahr geht, wie wir gleich sehen werden. Wir nehmen diesen Denkanstoß auf und betrachten einige physikalische Aspekte des Gartens Eden.
Die Fülle der Lebewesen unterschiedlicher Größe19 führt dazu, daß irgendwann die Menschen und die großen Tiere versehentlich die kleinen Tiere niedertrampeln. Dabei werden die Kleinen verletzt oder getötet. Hier wirkt vor allem die Gravitation. Eine direkte Lösung dieses Problems könnte in einer wenigstens temporären Levitation der Großen liegen, wenn diese vor dem potentiellen Todesfall wunderhaft eingeschaltet würde. Deshalb nenne ich es das Levitationsproblem. Daß die Gravitation ganz allgemein nicht existierte, können wir ausschließen, weil bereits in der ‚Paradiesgeographie’ vier Flüsse ganz normal an mehreren Ländern entlang fließen.
Betrachten wir das Problem zunächst ohne Levitation. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Lebewesen gibt es und desto größer wird die Wahrscheinlichkeit für ‚das erste Mal’. Selbst dann, wenn nach Erfüllung des Auftrags „füllet die Erde“ das Wachstum gestoppt wird (Junkers Einwand), steigt die Wahrscheinlichkeit der Verletzung bzw. des Todtrampelns mit der Zeit gegen 100%. Pferde galoppieren über die Savanne, Elefanten spazieren durch den Dschungel. Werden all die kleinen Schnecken, Raupen und Käfer immer in die richtige Richtung fliehen? Werden sie immer schnell genug sein? Das ist offensichtlich nicht der Fall und so muß man sagen, daß Leid und Tod geradezu ein Konstruktionsmerkmal der biblischen Schöpfung sind, wenn man diese denn unbedingt wörtlich verstehen will.
Welche theoretischen Lösungen gibt es für eine so konkret verstandene Schöpfung? Gravitation, das dynamische Grundgesetz bzw. actio = reactio dürften nicht unausgesetzt gewirkt haben… oder aber, die Lebewesen waren aus einer Art 'Supergummi’ gebaut. Tatsächlich scheint Reinhard Junker an eine derartige Konstruktion zu denken. In „Modell für einen Umbruch in der Schöpfung“ geht er auch auf „physikalische Rahmenbedingungen“ biologischen Lebens vor dem Sündenfall ein:
„Ein ursprünglich wesensmäßig anderes Ökosystem bedurfte auch anderer physikalischer Rahmenbedingungen als der heutigen. Ohne Tod konnte es auch keine Todesgefahren gegeben haben. Was war z. B. anders, als das Gebären noch nicht schmerzvoll war? Man könnte sich denken, dass die Eigenschaften der Materie von den heutigen Eigenschaften verschieden waren, sodass die anatomischen Merkmale sich nicht schmerzhaft und gefahrvoll auswirkten. Denkbar wäre auch, dass die körperliche Konstitution anders war, so dass die Schmerzen und Gefahren ausgeschlossen waren.“ 20
Leider beschäftigt er sich nicht direkt mit dem Levitationsproblem. Aber man kann ungefähr erkennen, daß er eine Lösung ohne Levitation präferieren würde: Die zertrampelten Kleintiere stülpen sich vermöge paradiesischer Materialeigenschaften hinterher in ihre ursprüngliche Form zurück, als wäre nichts geschehen. Oder vielleicht sind sie so hart gebaut, daß sie jedem Schmerz- und Tod-verursachenden Druck mit Leichtigkeit standhalten.
Junkers Spekulation über unbekannte Materialeigenschaften, die Verletzung, Schmerz und Tod verhindern, entspricht dem zutiefst menschlichen Wunsch nach konkreter Darstellung eines paradiesischen Lebens. Der Wunsch hat im Lauf der Jahrtausende vielfachen literarischen Ausdruck gefunden. Die moderne Phantasie wird sich an Hollywood orientieren und kann mit der ‚mimetischen Polylegierung’ des Terminators T-1000 aufwarten, was einer virtuellen Lösung unseres Problems schon ziemlich nahe kommt. Eine Kreuzung paradiesischer Phantasien mit der christlichen Wunderwelt wäre zur Zeit in ‚Narnia’ zu besichtigen.
Auf eine ähnliche Wunderwelt wunschgeleiteter Spekulationen gründet Manfred Stephan seine Einordnung der Entstehung fossilführender Sedimente im Taurusgebirge in die Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut.
Zu Kapitel 10: „Die Urgeschichte und ihre Geographie undeutlich und verborgen“ (S.32-36)
In zwei Abschnitten betrachtet Stephan die „Geographie vor der Sintflut“ (10.1) und die „Geographie nach der Sintflut“ (10.2). Im wesentlichen geht es ihm darum, zu zeigen, daß die urgeschichtlichen Aussagen „bewußt undeutlich und verborgen“ (S.34) gehalten wurden. Auch hier sehen wir die ‚Lückentheorie’ in voller Aktion. Speziell die geologisch nicht überlieferten Lebensräume für die Menschen zwischen Sündenfall und Sintflut kann man auf diese Weise bequem unterbringen:
„Dieser Annahme [der nicht überlieferten Lebensräume] kommen die geographischen Angaben der biblischen Urgeschichte durchaus entgegen, denn sie sind verborgen und undeutlich gezeichnet.“ (S.32)
Kein Gedanke wird daran verschwendet, welche Begründung der Bibeltext sonst noch liefern könnte, warum die Geographie am Anfang von geringerem Interesse ist. ‚Die richtige Lösung’™ würde lauten, daß die Urgeschichte eine auf die Patriarchen Israels zulaufende literarische Konstruktion ist, die vorrangig an den Menschen und ihrem Verhältnis zu Gott interessiert ist sowie an der Entwicklung dieses Verhältnisses im Lauf der Geschichte, mit dem Zielpunkt der Entstehung Israels bereits im Blick. Es dürfte kaum eine „bewußte“ Entscheidung gegen die Aufnahme detaillierter Landschaftsbeschreibungen sein, die die urgeschichtliche Geographie im Ergebnis so undeutlich bleiben läßt, sondern ein literarisch übliches Weglassen nebensächlicher Verfransungen.
Die komplizierten Platzprobleme einer ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ waren dem biblischen Autor schlicht unbekannt.
Zu Kapitel 11: „Zur Arbeitsweise biblisch-urgeschichtlicher Geologie oder: Vom Umgang mit ungelösten Problemen“ (S.37-38)
Ungelöste Probleme wie z.B. die Meteoritenimpakte werden bei Wort und Wissen „stehen gelassen und ehrlich als Problem markiert.“ (S.37) Das ist wahr und soll hier ausdrücklich bestätigt werden. Allerdings verschwindet dadurch nicht der grundsätzliche Widerspruch zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch und der dogmatischen Festlegung, den ich oben angesprochen habe.
Zu Kapitel 12: „Wissenschaftstheoretische Überlegungen im Anschluss an Lakatos und Feyerabend“ (S.39-51)
Manfred Stephan versucht darzulegen, daß die wissenschaftstheoretischen Ansätze von Imre Lakatos und Paul Feyerabend für die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ fruchtbar gemacht werden könnten. Seine Diskussion der eventuellen Bewährung dieser Geologie beginnt er mit meiner Behauptung, die zeitlichen Grenzen des Kurzzeitmodells seien gesprengt und deshalb sei der biblische Kreationismus falsch.
Hinter dieser Behauptung vermutet Stephan offenbar einen „naiven Falsifikationismus“ (S.39), der irrigerweise annimmt, durch einzelne entgegenstehende Fakten eine ganze Theorie stürzen zu können. Im Kontrast zu diesem vermeintlichen Fehler beschreibt er dann die besagten wissenschaftstheoretischen Ansätze und wendet sie auf die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ an.
Aber hier liegt ein fundamentales Mißverständnis vor. Die ‚biblische Schöpfungslehre’ von Wort und Wissen, die ich hier Kurzzeitkreationismus nenne, und auch ihr Bestandteil ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ ist keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine außerwissenschaftliche21, ihrem Grunde nach religiöse Theorie. Nach Feyerabend muß sie das als theoretische Alternative nicht absolut diskreditieren, wenn auch seine Offenheit für nicht-wissenschaftliche Ansätze durchaus überschätzt werden kann22. Aber es ist wichtig, sich klar zu machen, wie denn konkret die religiöse Prämisse an die naturwissenschaftlichen Daten ankoppelt.
Dann stellt man fest, daß sich die gigantische Spannung zwischen diesen beiden Welten an genau einer Stelle fokussiert: Im Kurzzeitmodell. Das Kurzzeitmodell ist die triviale Hypothese von einem maximalen Weltalter von ca. 10000 Jahren. Der gesamte Kurzzeitkreationismus bricht ja zusammen, wenn das Kurzzeitmodell fallengelassen wird. Das Kurzzeitmodell ist keine Theorie, geschweige denn ein Forschungsprogramm, sondern eine simple Hypothese über ein maximales Weltalter. (Daß der Begriff ‚Kurzzeitmodell’ gelegentlich in anderer Bedeutung gebraucht wird, lassen wir hier beiseite.)
Die Theorie des Kurzzeitkreationismus steht auf der Hypothese des Kurzzeitmodells wie ein auf die Spitze gestellter Kegel, und zwar ‚Spitz auf Knopf’, denn es gibt hier keinerlei nennenswerten Rabatt! Es ist nicht möglich, diese Zeitspanne noch mal eben um ein halbes Dutzend notwendige Größenordnungen zu dehnen, ohne die zugrundeliegende wörtliche Bibelauslegung über den Haufen zu werfen. Mit der Ausdehnung des Megakatastrophismus in die Zeit der biblischen Urgeschichte von der Schöpfung bis zur Sintflut ist das Äußerste erreicht, was eine wörtliche Bibelauslegung an zeitlichem Rahmen hergibt.
Was ich widerlegt habe bzw. was auch durch andere Verfahren (radiometrische Datierungen, Sternenlichtalter, usw.) mehrfach widerlegt worden ist, ist die Hypothese des Kurzzeitmodells. Der Kurzzeitkreationismus als Theorie ist dadurch nur deshalb widerlegt, weil er so überaus labil auf einer simplen religiösen Hypothese konstruiert ist. Eine mögliche Weiterentwicklung der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ auf anderen Feldern ist irrelevant, solange sie keinen nennenswerten Beitrag zur Beseitigung dieser Widerlegungen liefert. Trotzdem bleibt es den Vertretern dieses stark degenerierten Modells natürlich unbenommen, sich beliebig lange damit zu beschäftigen.
Zu Kapitel 13: „Warum biblisch-urgeschichtliche Geologie statt Sintflutgeologie?“ (S.52-53)
Manfred Stephans Erklärungen zur jetzigen Bevorzugung der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ lassen erkennen, daß der Hauptgrund schlicht und ergreifend in der Unmöglichkeit zu sehen ist, die naturwissenschaftlichen Daten einem einzigen Jahr, dem Sintflutjahr, zuzuordnen. Daran läßt sich bereits das nahende Ende auch der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ ablesen, denn die ‚hinzugewonnene’ Zeit reicht bei weitem nicht aus und die erforderlichen Annahmen, die über die biblische Urgeschichte hinausgehen, stehen im Widerspruch zum biblischen Text.
Die Entgegnung auf meine Kritik basiert zum Teil auf Mißverständnissen (was ist wörtliche Bibelauslegung?, was ist Gematrie?). - Die dogmatische Festlegung auf eine historisch-realistische Deutung der biblischen Urgeschichte nötigt Manfred Stephan zur Ausblendung der Möglichkeit historischer Fiktion. - Meine Artikel zu Zahlen in der Bibel wurden nicht wirklich verstanden. Der Versuch, die Bedeutung der Patriarchenalter in sein Auslegungsmodell zu integrieren, scheitert schon an der Chicago-Erklärung zur biblischen Hermeneutik. - Die Abwehr der Bezeichnung ‚Lückentheorie’ für die ‚biblisch-urgeschichtliche Geologie’ basiert auf der falschen Annahme, es sei eine zeitliche statt einer inhaltlichen Lücke gemeint. - Die Diskussion des Impaktszenarios geht am Gesamtproblem stillschweigend vorüber und versucht auf unzulässige Weise, das Problem kleinzureden. - Die Definition der Einzigartigkeit der Sintflut im Kontext der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ muß als theoretisch-zynisch bezeichnet werden. - Der Kunstgriff des Patriarchenüberlebens in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen wird nicht gerechtfertigt. - Das literarische Konzept der biblischen Urgeschichte wird ad absurdum geführt, weil die Sintflut als singuläres Ereignis vor dem Hintergrund der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ als Nonsense erscheint. - Die ‚Paradiesgeographie’ (Gen.2,10-14) liefert keinen Hinweis auf umfangreiche geologische Prozesse. - (Exkurs ‚Paradiesphysik’: Lösungen für das ‚Levitationsproblem’?) - Die Urgeschichte und ihre Geographie bleiben undeutlich, nicht um die Implementation der ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ zu erleichtern, sondern weil der Autor kein gesteigertes Interesse daran hatte. - Die Inanspruchnahme toleranter wissenschaftstheoretischer Ansätze hilft nicht wirklich, wenn eine bereits degenerierte Theorie vollständig von einer vielfach widerlegten simplen Hypothese abhängig ist.
2 Inzwischen wurde die erste Fassung durch eine 66-seitige Version ersetzt, leider sind beide ohne Datumsangabe. Soweit nicht durch nachgestelltes nV (neue Version) vermerkt, beziehen sich meine Seitenangaben auf die erste Fassung. Die Studiengemeinschaft gestattete mir freundlicherweise, beide Fassungen zu meiner Antwort hinzuzustellen, so daß jederzeit Nachvollziehbarkeit der Referenzen gewährleitet ist.
3 „Impaktszenario sprengt Kurzzeitmodell des biblischen Kreationismus“ und „Zur ‚biblisch-urgeschichtlichen Geologie’ der Studiengemeinschaft Wort und Wissen“, beide zu finden unter http://www.waschke.de/twaschke/artikel/gast/heinzerling/ .
5 Ich hatte es in „Impaktszenario…“ bereits erläutert: „Der Bibeltext wird [von der Studiengemeinschaft] so verstanden und wörtlich akzeptiert, daß die Welt vor ca. 10.000 Jahren aus dem Nichts geschaffen wurde.“
6 Man muß allerdings auch festhalten, daß der Leiter der Studiengemeinschaft, Prof. Siegfried Scherer, nicht (mehr) erwartet, daß eine auf Offenbarungswissen gegründete Schöpfungslehre den Rang einer wissenschaftlichen Theorie erreichen könne. Vgl. dazu „Evolutionskritik, Kreationismus, Intelligent Design und Schöpfungslehre": http://homepage.mac.com/siegfried.scherer/FileSharing3.html . Das hebt die Spannung aber nicht auf, sondern verstärkt sie.
7 „Die Größe der israelitischen Bevölkerung während der Wüstenwanderung und Landnahme“, Uwe Zerbst, S.95-136 aus dem Buch „Keine Posaunen vor Jericho? – Beiträge zur Archäologie der Landnahme“, Uwe Zerbst & Peter van der Veen (Hg.), Studium Integrale Archäologie, Studiengemeinschaft Wort und Wissen, Hänssler 2005.
8 Review 4 auf meiner Homepage.
9 Stephan zitiert Th.Hieke bzgl. der Genealogien. (S.8)
10 R.Heinzerling, " 'Einweihung' durch Henoch ? Die Bedeutung der Altersangaben in Genesis 5", ZAW 110 (1998) 581-589.
11 R.Heinzerling, "Bileams Rätsel - Die Zählung der Wehrfähigen in Numeri 1 und 26", ZAW 111 (1999) 404-415. – Stephans Fehler in Anm. 67 (S.7-8), wo er diesen Aufsatz kommentiert, übergehe ich hier vollständig. Er hängt großenteils von Zerbst ab (siehe oben) und ich verweise auf meine Rezension seines Beitrags.
12 „Und offenbar, weil das alles fiktiv sei, meint Heinzerling…“. (S.8)
13 "Der kurze Zeitrahmen der Urgeschichte: Nur einige Jahrtausende", Manfred Stephan, 31.01.2004, http://www.genesisnet.info/artikel/experten.php?Artikel=822 .
14 Anmerkung 20 aus: R.Heinzerling, „Impaktszenario…“, 2004.
15 B.M.French, “Traces of Catastrophe - A Handbook of Shock-Metamorphic Effects in Terrestrial Meteorite Impact Structures”, S.104, http://www.lpi.usra.edu/publications/books/CB-954/CB-954.intro.html
18 http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/f65_ist_eine_urspruengliche_schoepfung_ohne_tod_ueberhaupt_denkbar_da_es_doch_eine_ueberbevoelkerung.php .
19 Selbst wenn man annimmt, alle Tierarten hätten ungefähr gleiche Größe gehabt, was sich mit Gen.1 nicht vereinbaren läßt, müssen die Jungtiere in jedem Fall deutlich kleiner gewesen sein, als die erwachsenen.
21 Vgl. „Evolutionskritik, Kreationismus, Intelligent Design und Schöpfungslehre": http://homepage.mac.com/siegfried.scherer/FileSharing3.html .
22 Martin Dresler schreibt: „Selbst Paul Feyerabend hat sein berüchtigtes anything goes nie ernsthaft vertreten: ‚anything goes ist nicht mein Grundsatz […], sondern der erschreckte Ausruf eines Rationalisten, der sich die von mir zusammengetragene Evidenz etwas genauer ansieht.’“ – Mind Akademie 2004 – Macht.Wissen.Schaft.Skepsis, Tagungsband der 3. Mind Akademie, hrgg.v. Martin Dresler, S.101.