Rüdiger Heinzerling, Büdingen, 2004
On the 'geology of biblical primeval history' by the 'Studiengemeinschaft Wort und Wissen'. Why this new approach is doomed to failure and should be abandoned altogether. [ 1 ]
In der Diskussion zu meinen Vortrag zum 'Impaktszenario' von 1994 wurde von einigen spontan die Antwort a) gewählt: "Alle größeren Einschläge geschahen zur Zeit der Sintflut. Die meisten Auswirkungen wurden durch die Folgen der Flut verwischt." Meine Darstellung der naturwissenschaftlichen Fakten wurde nicht nennenswert kritisiert. Aber meine im ersten Artikel genannten Einwände gegen Antwort a), die vor allem darauf gründen, daß die Bibel etwas ganz anderes beschreibt, wurden abgelehnt.
Dies ist eine symptomatische Verhaltensweise für den Kreationismus. Im naturwissenschaftlichen Bereich kann man sich schnell einigen, denn hier haben die Mitarbeiter eine relativ hohe Kompetenz. Im theologischen Bereich, speziell in der Exegese, sehen sie sich selbst als überfordert an [ 2 ]:
"Sintflut-Geologen sind mit der philologisch-theologischen Textexegese (Auslegung) überfordert. Sie stehen in der Gefahr, solche Texte zu sehr mit geologischen Deutungen zu befrachten."
Folgerichtig ging in den letzten zehn Jahren die geologische Forschung weiter und es wurden - in Auseinandersetzung mit kreationistischen Gruppen in anderen Ländern - die vielfältigen Probleme einer Kurzzeitgeologie, speziell der 'Sintflutgeologie', erörtert. Die Abfolge von Asteroiden- und Kometeneinschlägen, deren Häufigkeit und Auswirkungen im ersten Artikel dargelegt wurden, stellt ja nur einen einzigen, wenn auch wichtigen Aspekt der geologischen Umwälzungen dar, die in der Historischen Geologie dokumentiert sind. (Eine Übersicht vieler geologischer Probleme des Kreationismus aus kritischer Sicht findet sich z.B. in Kapitel 7 des Artikels "Was spricht gegen eine weltweite Sintflut?" von Mark Isaak [ 3 ]. )
Im Folgenden beziehe ich mich auf das Buch "Sintflut und Geologie Schritte zu einer biblisch-urgeschichtlichen Geologie" [ 4 ] von Manfred Stephan und Thomas Fritzsche, das die neuesten Erkenntnissen der geowissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Studiengemeinschaft Wort und Wissen darlegt. Das Buch ist sehr gut geschrieben - wie die meisten Wort und Wissen -Veröffentlichungen und ich habe einiges Neue daraus gelernt. Außerdem beziehe ich mich auf den Artikel "Warum vertritt Wort und Wissen eine biblische Kurzzeit-Erdgeschichte, aber kein geologisches Sintflut-Modell?" [ 5 ]. Dieser Text ist gleichsam eine Kurzfassung der Ergebnisse des Buches und ich empfehle ihn in diesem Zusammenhang zur Lektüre. Der Titel des Aufsatzes bringt das Ergebnis der bisherigen geowissenschaftlichen Arbeit bei Wort und Wissen schön auf den Punkt. In einem Textkasten auf Seite 1 (der PDF-Version) wird erläutert:
"Unter Sintflutgeologie werden hier geologische Modelle verstanden, nach denen der größte Teil der geologischen Systeme ab Kambrium während des Sintflutjahres entstanden ist. In von der SG Wort und Wissen vertretenen biblisch-urgeschichtlichen Geologie wird dagegen auch mit erheblicher Schicht- und Fossilbildung in der Zeit vor der Sintflut, zum Teil auch noch danach, gerechnet."
In demselben Artikel heißt es in Abschnitt 4:
"Im Rahmen biblisch-urgeschichtlicher Geologie wird damit gerechnet, daß enorme Gesteinsbildung schon zwischen Sündenfall und Sintflut möglich war."
Zum Hintergrund: Die Geo-Arbeitsgruppe ist zu der Erkenntnis gelangt, daß sintflutgeologische Modelle im engeren Sinn, also wie oben im Zitat definiert, die geologischen Fakten schlechterdings weitgehend nicht erklären. Das gilt sowohl für Modelle, die fast alle geologischen Systeme mit der Sintflut erklären wollen, d.h. die Entstehung dieser Systeme in das Sintflutjahr legen, als auch für das Kambrium-Perm-Modell von Scheven, der das Ende der Sintflut bereits im Perm ansetzt und die übrigen Schichten mit nachflutlichen Katastrophen erklären will. (Seltener vertretene Varianten lasse ich hier einmal beiseite.) Die Schwierigkeiten der Sintflutgeologie sind so groß, daß man sich zu einem neuen umfassenderen Ansatz genötigt sieht.
Die Gründe für das Scheitern der Sintflutgeologie im engeren Sinne sind in dem Buch von Stephan und Fritzsche detailliert nachzulesen. Das Buch liest sich über weite Strecken wie ein Kompendium der Probleme der Sintflutgeologie (und es erwähnt noch nicht einmal das Impaktszenario! [ 6 ]). Man hat nach langer kontroverser Diskussion festgestellt, daß die Entstehung der zahlreichen Sedimentschichten mit den riesigen Gesteinsmassen, den offensichtlich erforderlichen Energieflüssen, der regelhaften Fossilabfolge sowie weiteren wesentlichen Problemen in den Zeitrahmen des einen einzigen Sintflutjahres nicht einzupassen sind aber auch nicht in die eventuell verbleibende Zeit nach der Flut, die z.B. das Kambrium-Perm-Modell voraussetzt.
Statt einer 'Sintflutgeologie' soll jetzt eine 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' einen ausreichenden Zeitrahmen bieten, um insbesondere mit den (ca. fünf?) vorflutlichen Jahrtausenden einen wesentlichen Teil der geologischen Aktivität aufzunehmen. Im Sinne meines 1994 gehaltenen Vortrags hat man sich also von Antwort a) verabschiedet und will es jetzt mit Antwort b) versuchen: "Die Einschläge verteilen sich auf die Zeit von der Schöpfung an bis kurz nach der Sintflut." (Natürlich nicht nur die Einschläge, sondern alle gesteinsbildenden Prozesse.)
Dieser Ansatz ist eine Verzweiflungstat und er ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt.
Das Gesamtproblem des biblischen Kreationismus hat seine Ursache im Festhalten an einer wörtlichen Auslegung der biblischen Urgeschichte. Wer den Schöpfungsbericht und die Geschlechtsregister mit ihren Altersangaben in Jahren wörtlich nimmt, muß daraus ein Kurzzeitmodell ableiten und auch die Sintflut in dieses Modell einpassen. Um das zu erreichen, suchten kreationistische Geologen nach Belegen für eine sehr schnelle Entstehung der Sedimente, die in der wissenschaftlichen Geologie als in Jahrmillionen entstanden angesehen werden. Und sie hatten Erfolg! Ich erinnere mich an das Vergnügen, mit dem ich seinerzeit die Bücher von Joachim Scheven gelesen habe, der mit eigener geologischer Recherche und photographischer Dokumentation nachwies überzeugend zumindest für mich als geologischen Laien - daß viele der geologischen Schichten schlechterdings nicht in extrem langen Zeiträumen entstanden sein konnten, sondern teilweise in Tagen oder auch nur Stunden entstanden sein mußten. Bis heute wird diese Art des Angriffs auf die Denkweisen der Historischen Geologie fortgesetzt und ist teilweise regelrecht amüsant zu lesen.
Allerdings hat die Sache einen gewaltigen Haken. Die Behauptung der superschnellen Entstehung fast aller geologischen Systeme führt zu extremen 'Platzproblemen' im Kurzzeitmodell. Wenn erst klar wird, welch riesige Energien die schnellen Prozesse angetrieben haben müssen, dann muß man als nächstes erklären, wann und wo die dazugehörigen geologischen und biologischen Katastrophen stattgefunden haben. Weniger (Zeit) ist nicht unbedingt mehr (Anpassungsqualität).
Passen die Abläufe nicht in das Sintflutjahr, dann wird man versuchen, in der nachflutlichen Zeit noch 'einiges unterzubringen' (auch wenn das mit dem Bibeltext nicht zu begründen ist). Aber selbst dieser Versuch, vorgetragen u.a. in Gestalt des Kambrium-Perm-Modells von Joachim Scheven, wird von den Wort und Wissen Geologen nun als erfolglos eingestuft und man verfällt auf die verblüffende Idee, die vorflutliche Zeit mit "erheblicher Schicht- und Fossilbildung" zu bevölkern. Manfred Stephan schreibt [ 7 ] (ich setze nochmal ein mit obigem Zitat):
"Im Rahmen biblisch-urgeschichtlicher Geologie wird damit gerechnet, daß enorme Gesteinsbildung schon zwischen Sündenfall und Sintflut möglich war. Dann wäre diese Zeit nicht einfach ein 'Zeitalter der Ruhe' gewesen."
Den gewonnenen Vorteil beschreibt er kurz darauf so:
"Die Geschwindigkeiten geologischer Abläufe in der Zeit vor der Flut wären zwar erheblich höher gewesen als heute, aber von ungleich geringerer Intensität als die gigantischen geologischen Katastrophen, die Sintflutgeologen für das Flutjahr annehmen müssen. Denn die geologischen Ereignisse hätten während dieser bedeutend längeren Zeitspanne mehrere tausendmal langsamer bzw. energieärmer verlaufen können, um die gleiche Wirkung zu erzielen."
Diese Beschreibung ist teils richtig, teils falsch. Richtig ist, daß die für geologische Prozesse 'zur Verfügung stehende' Zeit einige tausendmal länger ist als das Sintflutjahr. Falsch ist, dies allgemein als Abschwächungsfaktor auf die Stärke des Energieflusses zu übertragen. Alle von den Kreationisten eruierten Fälle, in denen geologische Prozesse offensichtlich in Stunden oder Tagen abgelaufen sind, können jetzt nicht plötzlich zu langsamen Prozessen 'umdeklariert' werden! Hier hat man sich quasi ins eigene Knie geschossen. Also sind auch die jeweils zugehörigen Energieflüsse die gleichen wie zuvor. Am Beispiel der Impaktoren wird es wieder besonders deutlich: Sie schlagen entweder mit ihrer astronomischen Geschwindigkeit ein oder sie schlagen nicht ein. An den dadurch ausgelösten Prozessen ändert sich gar nichts. Lediglich die zeitliche Verteilung der Einschläge kann sich ausdünnen, aber auch das in keiner Weise, die für die vom Einschlag betroffenen Menschen und Tiere keine Massenvernichtung bedeuten würde, also in der Tat, "um die gleiche Wirkung zu erzielen".
Aber gibt es nicht wenigstens ein paar Prozesse, die sich mit dem gewonnenen Faktor proportional abschwächen? Das mag durchaus sein, aber es ist nicht sinnvoll, sich an solchen Fällen zu ergötzen, solange die Hauptprobleme nicht gelöst sind. Stephan und Fritzsche schreiben [ 8 ]:
"[ ] auch in einem geologischen Kurzzeithorizont gilt, daß sich zwischen Trias und Nacheiszeit (Holozän) mächtige Schichtgesteinsfolgen gebildet haben bzw. wieder abgetragen wurden, daß sich gewaltige Horizontalbewegungen der Kontinente und Vertikalbewegungen der Erdkruste ereignet haben. Kurzum: Die Erdkruste wurde in der Zwischenzeit komplett umgestaltet."
Betrachten wir hieraus nur sehr kurz die Kontinentalverschiebung als potentiellen Kandidaten für eine entscheidende Abschwächung der Energieflüsse. Setzt man den ungefähren Abstand der Amerikas von Europa und Afrika (Größenordnung 5000km) mit den 200 Millionen Jahren in Beziehung, die die Historische Geologie für die Zeit seit dem Zerfallen Pangäas ansetzt, dann kommt man auf eine Geschwindigkeit der Plattendrift von ca. 2,5 cm pro Jahr, also den heutzutage gemessenen Wert. Stehen aber nur 5000 Jahre zur Verfügung, dann ist die Geschwindigkeit 40000 mal so groß, nämlich 1km pro Jahr. Für das sea floor spreading müssen dann am Atlantischen Rücken, vorsichtig geschätzt,
10000 km Länge mal 10 km Krustendicke mal 1 km Breite = 100.000 km³
flüssiges Gestein (> 1000°C) nachgeliefert und auf Meerestemperatur abgekühlt werden, jedes Jahr, versteht sich. (Schätzungen für die aktuelle Produktion von Krustenmaterial schwanken zwischen 2 und 20 km³ pro Jahr weltweit.) Während der Lebenszeit Methusalems ist also mit einer Atlantikverbreiterung von knapp 1000 km und neuem Krustenmaterial von ca. 100.000.000 km³ zu rechnen. Man überlege sich, wo und wie die Platten andernorts mit dieser Rate zusammengestaucht werden und welche Auswirkungen das Ganze auf Erdbebenaktivität, Vulkanismus usw. hätte, von den klimatischen Folgen zu schweigen. Von einer entscheidenden Abschwächung geologischer Aktivität kann keine Rede sein. Und der Clou an der Sache ist, daß diese Aktivität bzw. wenigstens ein sehr großer Teil davon nicht in die Zeit der Sintflutkatastrophe fallen soll, sondern in die Zeit davor!
Auch Manfred Stephan war wohl die Verfrachtung des Hauptteils der geologischen Katastrophen in die Zeit der vorflutlichen Patriarchen nicht ganz geheuer, denn er fährt fort [ 9 ]:
"Man kann vermuten, daß die vorsintflutlichen Menschen unter diesen Bedingungen in bestimmten relativ geschützten, aber wechselnden Gebieten ein Nomadenleben mit Tierherden führen konnten (vgl. 1.Mose 4,20). Zumindest zeitweise waren aber auch feste Wohnsitze mit Schafzucht, Ackerbau und Handwerk möglich (vgl. 1.Mose 4,3f.17.21.f.;vgl. Tab.1). Hier wird angenommen, daß die Menschen sich damals in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen aufhielten."
Das ist "unter diesen Bedingungen" reine Phantasie. Während die geologische Faktenlage dazu nötigt, die Entstehungszeit der Sedimente über das Sintflutjahr weit hinauszudehnen, also das Kurzzeitmodell bis zum Letzten auszureizen, sollte das Festhalten an der wörtlichen Bibelauslegung dazu zwingen, die Proportionen und Charakteristika der Kurzzeitmodells pünktlich einzuhalten.
Dazu muß man über die banalen Eckpunkte menschlichen Lebens wie Nomadentum, Ackerbau, Schafzucht und Handwerk hinausgehen und fragen: Was ist denn das Eigentümliche an den äußerlichen Lebensverhältnissen der Menschen in der Zeit vom Sündenfall bis zur Sintflut? Bei der Vertreibung aus dem Paradies spricht Gott über die Schlange, die Frau und den Mann sein Urteil (Gen.3,16-19 [ 10 ]): Die Frau soll "mit Schmerzen Kinder gebären" und wird dem Mann unterworfen. Der Erdboden wird Adams wegen verflucht und soll "Dornen und Disteln" tragen. Nur mit anstrengender Arbeit soll es noch möglich sein, dem Boden die notwendige Nahrung abzuringen. In Kapitel 4 werden die Schwierigkeiten mit dem Ackerboden für den Brudermörder Kain noch einmal verschärft (V.12). Außerdem wird erwähnt, daß Kain eine Stadt baute, seine Nachkommen teils als Nomaden lebten, Musikinstrumente spielten und Metalle schmiedeten. Kapitel 5 gibt den berühmten Stammbaum Sets wieder, der vor allem mit den hohen Lebensaltern hervorsticht. Es werden fast keine Einzelheiten über das Leben der erwähnten Personen erzählt aber bei der Namensgebung für Noah, den letzten vorsintflutlichen Patriarchen, kommt der Text auf deren allgemeine Lebenssituation noch einmal zu sprechen:
Gen.5,29 (REÜ): "Und er gab ihm den Namen Noah, indem er sagte: Dieser wird uns trösten über unserer Arbeit und über der Mühsal unserer Hände von dem Erdboden, den der HERR verflucht hat."
Wir sehen, daß die Zeit vom Sündenfall bis zur Zeit Noahs, also die vom biblischen Kreationismus vermuteten maximal ca. 5 Jahrtausende, einerseits selbstverständlich erfüllt war mit ziemlich normalen Ereignissen täglichen Lebens. Andererseits ragt aber als eigentümlicher durchgehend bedrückender Umstand heraus, daß das Leben auf der Erde wegen der Arbeit und "Mühsal unserer Hände" nur schwer zu ertragen war. Zu Beginn, zur Zeit Kains und gegen Ende wird auf den Fluch Gottes über den Erdboden hingewiesen. Der Ackerboden läßt leicht "Dornen und Disteln" wachsen, Nahrung kann man ihm aber nur mühevoll abringen.
Nehmen wir nun einmal an, diese Zeit sei erfüllt gewesen mit den geologischen Prozessen inklusive Impaktszenario - die die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' in diese Zeit hineinverfrachten möchte. Stellen wir uns weiter die biologischen Katastrophen vor, die damit verbunden sind, ganz gleich ob wir diese Prozesse komplett oder nur zum großen Teil dort hineinverlegen. Dann stellt sich die Frage: Warum tut die Bibel so, als seien ausgerechnet "Dornen und Disteln" auf dem Acker ein Hauptproblem der Menschheit gewesen? Nachdem ein paar Menschen das Jahrtausende währende ungeheure göttliche Gemetzel an allem irdischen Leben tatsächlich überlebt hatten, war zur Zeit Noahs Trost wegen der vielen Arbeit wichtig, die der Fluch über den Ackerboden verursachte? Und welchen Sinn soll eine Sintflut überhaupt haben, wenn die vorausgehenden Katastrophen schon alles vorweggenommen haben, was da an irdischen Katastrophen auszudenken ist? Hätte Noah bei Ankündigung der Sintflut nicht schließlich sagen müssen: "Endlich, o Herr! Mach endlich Schluß mit uns! Mach's endlich richtig!" Oder vielleicht: "Dir fällt wohl auch nichts Neues mehr ein, womit Du uns quälen und umbringen kannst?"
Manfred Stephan scheint das Problem mit einem Kunstgriff lösen zu wollen, indem er annimmt, "daß die Menschen sich damals in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen aufhielten." Aber die "bestimmten relativ geschützten" Gebiete sind in Wahrheit unbestimmte, um der Rettung einer unhaltbaren Theorie willen 'angenommene' geographische Bereiche, die (durch wunderhaftes Eingreifen Gottes?) von den sie umgebenden Megakatastrophen verschont bleiben. Hier hilft es auch nicht, diese Bereiche mit Hilfe der Hypothese der "geologisch nicht überlieferten Lebensräume" motivieren zu wollen, wie er sie in der Paläontologie verwendet findet [ 11 ].
Denn auch im Punkt "relativ geschützter" Gebiete besteht ein scharfer Kontrast zu dem, was die Genesis in Bezug auf den Schutz der Menschen sagt. Gott schützt den Menschen, indem er ihm Leibröcke aus Fell macht, um ihn zu bekleiden. Er schützt ihn, indem er ihm den Weg zum Baum des Lebens versperrt und so davor bewahrt, sein böses Leben in Ewigkeit fortzusetzen. Er schützt sogar Kain durch ein Zeichen an seiner Stirn, damit ihn nicht jeder erschlüge, der ihn fände. Die Menschen schützen sich auch selbst, indem sie Städte bauen. Das Thema 'Schutz des Menschen in der Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut' wird also mehrfach behandelt, aber von einem Schutz vor den immensen Gefahren weltumspannender geologischer Katastrophen ist keine Rede! Es ist ein äußerst zweifelhaftes Vorgehen, einem angeblich historisch zuverlässig berichtenden und mit göttlicher Inspiration versehenen Autor zu unterstellen, er habe hier so Wesentliches weggelassen. Aber selbst das scheint kein Problem mehr zu sein.
Das gesamte literarische Konzept der biblischen Urgeschichte wird ad absurdum geführt, wenn man die katastrophalen geologischen Prozesse, die von früheren Auslegern sinnvollerweise der Sintflut zugeordnet wurden, jetzt großenteils in die Zeit zwischen Sündenfall und Sintflut verlegt. Kann ein solches geologisches Modell biblisch richtig sein? Verblüffenderweise nennen Stephan und Fritzsche in ihrem Buch "Sintflut und Geologie" u.a. folgendes 'biblische Kriterium' zur Bewertung geologischer Modelle [ 12 ]:
"Die Sintflut ist das einzige in der Bibel genannte Großereignis, das in eine Beziehung zu geologischen Daten gestellt werden kann."
Daraus folgt logisch: Von enormen vorsintflutlichen geologischen Prozessen sagt die Bibel nach Auffassung der Autoren nichts. Es dürfte nicht schwerfallen, nach Lektüre der ersten fünf Genesiskapitel dieser These zuzustimmen.
Besonders absurd ist dann aber die Tatsache, daß die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' von einer Seite vorgeschlagen wird, die so großen Wert auf das Festhalten am biblischen Wortlaut und das Vermeiden jeglichen Hineininterpretierens legt. Denn zur gleichen Zeit wird von ihnen die Restitutionstheorie u.a. mit folgendem Argument abgelehnt [ 13 ]:
Bereits von der Textgestalt des Schöpfungsberichts her ist diese Auslegung fragwürdig. Denn damit wird eine ganze Lehre zwischen zwei Verse platziert, ohne dass diese Lehre im Text von 1. Mose 1 auch nur angedeutet wird. Der Bericht von der Sechstageschöpfung und dem anschließenden Ruhetag wird damit um eine Lehraussage erweitert, die das Kapitel gar nicht behandelt. Schon daran erweist sich: Diese Auslegung ist "in den Text hineingelesen" (Delitzsch 1887, S. 52) bzw. "hineingeheimnisst (Zimmerli 1967, S. 41). Sie wirkt an dieser Stelle "sprachlich und sachlich ganz unmöglich" (v. Rad 1987, S. 31). Eine der häufigsten Fehler in der Auslegung von Erzähltexten ist nämlich das Füllen von Lücken (sog. "Leerstellen") im Text, die der Abschnitt nicht behandelt (Dreytza, Hilbrands & Schmid 2002, S. 75).
Das kann unmittelbar auf die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' übertragen werden! Sie ist ein Paradebeispiel für eine Lückentheorie und es ist außerordentlich überraschend, sie nun von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen vorgetragen zu sehen. Die Erzählungen von den vorflutlichen Patriarchen werden "um eine Lehraussage erweitert, die [die Kapitel] gar nicht behandel[n]." Den Auslegern von Wort und Wissen ist sicher Recht zu geben, daß die Restitutionstheorie in den Text nur hineingelesen werden kann. Aber wie man auf die Idee hat verfallen können, daß das für die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' nicht gelten würde, ist mir völlig schleierhaft.
Aber das ist noch nicht alles. Die Restitutionstheorie konnte immerhin für sich in Anspruch nehmen, 'nur' eine vermutete Lücke in einer biblischen Textaussage auszufüllen, nämlich zwischen Vers 1 und 2 des ersten Genesiskapitels. Besonders pfiffig daran war, daß sie fast die komplette Historische Geologie in die Zeit vor den Schöpfungsbericht verschob und damit so gut wie keine Aussage über einen irdischen Zeitabschnitt machte, über den auch die Bibel berichtet. Das war ein genialer Entflechtungstrick, wenn er auch auf Kosten des Schöpfungsbegriffs ging.
Die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie' will aber nun das 'Kunststück' fertig bringen, die vorsintflutliche Zeit, die in mehreren biblischen Kapiteln beschrieben wird, mit gleichzeitigen gigantischen weltumspannenden geologischen Umwälzungen anzufüllen, permanent extrem lebensgefährdend für alle Menschen und Tiere dieser Zeit aber vollständig unerwähnt und versteckt zwischen den Zeilen. Hier muß dem Leser nun von einem Vers zum anderen erklärt werden, warum die Bibel über die im Hintergrund stattfindenen Megakatastrophen kein Sterbenswörtchen erzählt. Anfangs koppelt die Theorie noch an den Genesistext an, weil Fossilien nur nach dem Sündenfall entstehen konnten, dann kommt der lange 'irreführende' Bibeltext über die Zeit der vorflutlichen Patriarchen, die lediglich über die Dornen und Disteln auf ihren Äckern klagen, und zum Beginn der Sintflut, wenn die Theorie endlich einen handfesten Anknüpfungspunkt hätte, tut die Bibel so, als würde mit der Sintflut etwas noch nie Dagewesenes über die Welt hereinbrechen.
Die 'Sintflutgeologie' im engeren Sinne hat so geringe Erfolgsaussichten, daß die Geologen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen eine neue Modellvariante erfunden haben: Die 'biblisch-urgeschichtliche Geologie'. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie die umwälzenden Prozesse aus der Sintflutzeit großenteils in die Zeit vor der Sintflut verlegt. Damit ist aber auch sie bereits jetzt zum Scheitern verurteilt und sollte deshalb komplett aufgegeben werden.
Sie gründet auf der falschen Hoffnung, die letalen Energieflüsse katastrophaler geologischer Prozesse, wie sie bei Einpassung der gesamten Historischen Geologie in ein paar Jahrtausende auftreten müssen, gegenüber der Sintflutgeologie im engeren Sinne entscheidend verringern zu können.
Sie verlegt den Löwenanteil der Prozesse sintflutgeologischer Art in die Zeit vor der Sintflut, was die literarische Konzeption der biblischen Urgeschichte ad absurdum führt.
Sie begeht denselben schweren exegetischen Fehler, den ihre Vertreter der Restitutionstheorie vorwerfen, aber in weit stärkerem Maße: Sie interpretiert sich selbst in die ersten Genesiskapitel hinein.
Die Geologie ist die Königsdisziplin des sogenannten wissenschaftlichen Kreationismus bzw. - um den feinen aber bemerkenswerten Unterschied zu wahren - der 'biblischen Schöpfungslehre', wie sie die Studiengemeinschaft Wort und Wissen vertritt. Die neue Modellvariante ist sicherlich eine urgeschichtliche Geologie, aber 'biblisch' ist sie nicht.
[ Einleitung ]
Anmerkung 3: "Was spricht gegen eine weltweite Sintflut?", zweite Auflage, 1998, Mark Isaak, Übersetzung aus dem Englischen von Thomas Waschke, das englische Original hier: http://www.talkorigins.org/faqs/faq-noahs-ark.html . [ zurück ]
Anmerkung 4: Manfred Stephan, Thomas Fritzsche: "Sintflut und Geologie - Schritte zu einer biblisch-urgeschichtlichen Geologie", unter Mitarbeit von Harald Binder, Franz Egli-Arm, Martin Ernst, Thomas Herzog, Reinhard Junker, hrgg. von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V., 2. erweiterte Auflage 2003, Hänssler Verlag Holzgerlingen, ISBN 3-7751-3630-4. Meine Kommentare zum Inhalt des Buches sollen keine Rezension darstellen. [ zurück ] Anmerkung 5: Manfred Stephan, "Warum vertritt Wort und Wissen eine biblische Kurzzeit-Erdgeschichte, aber kein geologisches Sintflut-Modell?", in der Reihe 'Wort und Wissen Diskussionsbeiträge', 2003. http://www.wort-und-wissen.de/disk/d03/2/warum-kein-sintflutmodell.pdf. [ zurück ] Anmerkung 6: Im Anhang 11.2 des Buches "Sintflut und Geologie" werden lediglich stratigraphische Aspekte des Kreide/Tertiär Impaktes diskutiert. [ zurück ] Anmerkung 7: Manfred Stephan, "Warum vertritt Wort und Wissen eine biblische Kurzzeit-Erdgeschichte ", 4.Abschnitt. [ zurück ] Anmerkung 8: Manfred Stephan, Thomas Fritzsche: "Sintflut und Geologie ", a.a.O., S.135. [ zurück ] Anmerkung 9: Manfred Stephan, "Warum vertritt Wort und Wissen eine biblische Kurzzeit-Erdgeschichte ", 4.Abschnitt. [ zurück ] Anmerkung 10: Gen.3,14-19 (REÜ) : (3/14) Und Gott, der HERR, sprach zur Schlange: Weil du das getan hast, sollst du verflucht sein unter allem Vieh und unter allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens! (3/15) Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen. (3/16) Zu der Frau sprach er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen! (3/17) Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! - so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; (3/18) und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! (3/19) Im Schweiße deines Angesichts wirst du [dein] Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren! [ zurück ] Anmerkung 11: Manfred Stephan, "Der Mensch und die geologische Zeittafel Warum kommen Menschenfossilien nur in den obersten geologischen Schichten vor?", hrgg. von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V., Hänssler Verlag Holzgerlingen 2002, ISBN 3-7751-3826-9. In diesem Buch, das ich allerdings nur 'diagonal' gelesen habe, beschäftigt er sich u.a. ausführlich mit den "nicht überlieferten Lebensräumen". [ zurück ] Anmerkung 12: Manfred Stephan, Thomas Fritzsche: "Sintflut und Geologie ", a.a.O., S.133. [ zurück ]Anmerkung 13: Manfred Stephan, "Der kurze Zeitrahmen der Urgeschichte ". Ähnlich Reinhard Junker, a.a.O. . [ zurück ]
[ Einleitung ]
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